Abschied für immer – Samsas Traum in Jena
Anleitung zum Totsein: Alexander Kaschte war mit Samsas Traum und Weena Morloch ein letztes Mal und sehr lebendig live in Jena zu erleben
23.09.2011 [db] Es ist schwer Alexander Kaschte gerecht zu werden, eigentlich ist es unmöglich. Der Geist, der sich hinter Samsas Traum und Weena Morloch verbirgt, ist sarkastisch, ironisch, messerscharf und beißend wahrhaftig. Er ist nicht der große böse Wolf der Schwarzen Szene. Er ist der Käferkönig. Nun ist er auf Tour – ein letztes Mal. Ja, Abschiedstourneen werden viele gespielt, um letzten Endes doch wieder auf die Bretter zurückzukehren, die für manchen die Welt bedeuten. Doch man ist geneigt, Herrn Kaschte zu glauben, wenn er sagt es sei nun Schluss. Ein lange überlegter Schritt, der jetzt in die Tat umgesetzt wird. Nicht ohne zwei neue Alben im Gepäck. Mit Samsas Traum veröffentlichte er in diesem Jahr „Anleitung zum Totsein“, mit seinem Projekt Weena Morloch „Amok“. Und nur dieses letzte Mal hat man Gelegenheit gehabt, neue und alte Songs live zu hören, Kaschte performen zu sehen und dieses Erlebnis festzuhalten. Das F-Haus in Jena zählte zu den letzten Stationen, an denen man Samsas Traum und Weena Morloch live erleben konnte. Und zu den letzten Stationen, an denen man Alexander Kaschte kurz vor seinem kräftezehrenden Auftritt auf ein Interview treffen konnte.
Aus dem Backstage hörte man Tellergeklapper und Gelächter. Gleich neben der Tür auf einem Sofa saß Alexander Kaschte. Kurz vor 20.00Uhr herrschte noch die Ruhe vor dem Sturm. Draußen – vor dem F-Haus – stehen standen und saßen die Käferlinge und warteten, dass sich die Türen öffnen würden. Derweil erzählten sie sich Geschichten über Alexander Kaschte. Eines ist sicher – Geschichten über den Käferkönig gibt es viele.
Der Käferkönig ist zurück, heißt es in Userbewertungen zum neuen Album „Anleitung zum Totsein“. An alte Zeiten würde das Album erinnern. Nach kurzer Durststrecke sei der neue Longplayer wieder ein Erfolg. Kaschte bleibt Kaschte – und zwar „genial“. Wie fühlt es sich für den Künstler an solches Feedback zu bekommen? Das sei ihm egal. Er schreibe, weil er es will. Was die Kritiker am Ende dazu sagen, sei ihm nicht wichtig. Überhaupt: „Anleitung zumTotsein“ sei in der gleichen Zeit entstanden wie die letzten beiden Alben – die anderen waren eben nur schneller fertig. Dann kann man eigentlich nicht von einer Rückkehr sprechen, musikalisches Experimentieren und Grenzen ausloten dann eher. Kaschte war auch Kaschte, als er seine Fans mitnahm auf die vermeintliche Durststrecke. Er klang nur anders – weil er es konnte. „Bei ‚Anleitung zum Totsein‘ wollte ich ein Album machen, das sehr groß, ästhetisch, pompös ist.“
Du hast im Statement zum Abschied von der Bühne gesagt: “Ich wollte immer Platten machen. Platten, die toll klingen, die gut aussehen, die viel Gegenwert für ihr Geld bieten und die lange in Erinnerung bleiben. Platten, die man alleine und mit Kopfhören anhört. Platten, die nicht nebenbei laufen können.” – wird die Inszenierung nicht dennoch fehlen, der Auftritt?
Alexander Kaschte: Nein. Ich muss mich damit auch nicht abfinden. Ich wollte immer Musiker sein. Mein Ziel war es, Studioalben zu machen. Ich brauche es nicht, auf der Bühne zu stehen, stand mit der Band ganze fünf Jahre nicht auf der Bühne. Auch wenn es einen ganz anderen Eindruck macht, wenn ich auf der Bühne stehe. Livekonzerte sind anstrengend, bedeuten eine Menge Planung und Proben, kosten Geld. Der ganze Tagesrhythmus verschiebt sich um acht Stunden. Man kommt an seine körperlichen Grenzen, wird nach Hälfte der Tour krank. Ich bin immer krank. Wir stehen jeden Abend zwei Stunden auf der Bühne, irgendwann ist man erschöpft. Zudem haben wir bei den letzten beiden Tourneen immer draufgezahlt. Wir haben mit unserem Merchandise gegenfinanziert, weil die Gagen nicht ausgereicht haben, die Tour zu finanzieren. Und da es in Deutschland nun mal leider so ist, dass Musik zu einer Nebensächlichkeit verkommt und die Kinder auf Festivals gehen und ihr Geld nicht mehr für Konzerte ausgeben, ist es für mich nicht mehr interessant.
Wie ist die Doppelbelastung zu stemmen, wenn du einen ganzen Abend auf der Bühne bestreitest – einmal als Vorband Weena Morloch, einmal als Hauptact Samsas Traum? Wie schnell kannst du von einer Band auf die andere „umschalten“?
Alexander Kaschte: Es ist eine Herausforderung. Weena Morloch ist ein anderer Bühnencharakter und ich empfinde das Weena Morloch-Konzert anstrengender als Samsas Traum. Allein schon die körperliche Eingeengtheit durch den Anzug. Wenn ich dann aus dem Kostüm herauskomme ist das eine Erleichterung. Deshalb geht das Samsas Traum-Konzert nach Weena Morloch relativ leicht von der Hand. Wenn wir von der Bühne kommen sind wir durch. Alles was am Leib tragen ist durchgeschwitzt. Dann geht es in den Backstageraum und die Jungs helfen mir aus den nassen Klamotten raus. Bei Samsas Traum muss ich ja nichts darstellen, bei Weena Morloch schon. Bei Samsas Traum kann ich einfach loslegen und erzählen. Weena Morloch ist nicht die Person, die am Mikro steht und Ansagen macht. Bei Samsas Traum ist sehr viel mehr Theater dabei, Kabarett.
In einem Forum suchte eine Userin nach Informationen über Alexander Kaschte, sie hatte dich als Vortragsthema in der Schule,. Das Fazit eines anderen Users zu deiner Person war: „Er ist Satanist, böse und wird allgemein überbewertet.“ Kaschte als Vortragsthema – gefällt dir das?
Alexander Kaschte: Das habe ich mich noch nie gefragt. Ich komme immer sehr arrogant und überheblich rüber. In Wirklichkeit bin ich das nicht. Mir wäre es lieber, wenn es um das ginge, was ich mache. Ich möchte kein Klaus Kinski werden, bei dem der Darsteller wichtiger ist als das, was er darstellt. Aber es schmeichelt mir natürlich, weil ich dann sehe, dass meine Musik und das was ich mache, eine sehr hohe Tragweite haben. Dann muss den Menschen wichtig sein, was ich mache, wenn sie mich als Vortragsthema haben. Wenn man mich direkt fragen würde, dann würde ich auch alle Informationen liefern. Was ich sage, ist ja hoffentlich nicht nur unterhaltsam, sondern auch interessant.
Wie fühlt sich die Abschiedstour bislang an?
Alexander Kaschte: Wie jede andere Tour. Das ist Arbeit. Die Leidenschaft ist das Schreiben. Ich empfinde die größten Emotionen wenn ich schreibe, wenn es frisch aus mir herauskommt. Das was wir auf der Bühne machen sieht nach außen sehr flippig und energiegeladen aus, aber das ist nur Sport. Wir liegen am Tag 14 Stunden in der Gegend rum, um dann zwei Stunden auf der Bühne zu stehen.
Und diese zwei Stunden Sport hatten es in sich. Weena Morloch – zu Unrecht von einigen als Abfallprodukt von Samsas Traum verschrien – entfaltet live eine unglaubliche Energie. Der Bühnencharakter, den Kaschte hier erschaffen hat, ist nicht einfach beängstigend, wie er von manchen empfunden wird. Er spricht beängstigend nah an der Realität. Die Wunde eitert und Weena Morloch stochert darin rum. Er schweigt. Er flüstert und schreit. Er trommelt. Er spukt Kunstblut. Gelebte Provokation, die jenseits von Effekthascherei wirkt. Anders Samsas Traum. Wenn Kaschte den Anzug ablegt und auf die Bühne zurückkehrt, dann ist alles ein wenig anders. Offener. Frech. Spitz. Die Songs – seien es nun neue Stücke wie „Ich sehe die Sterne bei Tag“ aus dem aktuellen Album oder „Suicide Apartment 47“ aus dem Album „Tineoidea“ bewegen sich im Raum zwischen laut und leise. Kaschte wandelt zwischen tiefgründiger Gothicoper und headbangendem Metal. Beides vereint er so gekonnt, dass man zwischenzeitlich nicht weiß, ob man klatschen und springen oder zuhörend in der Ecke sitzen soll. Der Gratwandler, die Ausnahmefigur der Schwarzen Szene verabschiedet sich von der Bühne und lässt uns mit der Hoffnung zurück, wieder von ihm zu hören. Er lässt uns weiter träumen von epischen Texten, in denen sich der Wortakrobat austobt, in denen er kleine Geschichten und große Wahrheiten versteckt. Dann müssen die Jungfrauen auf den Wodka, der ihnen von der Bühne herunter gereicht wird, zwar verzichten. Dem Käferkönig folgen können sie aber immer noch. Allein, mit den Kopfhörern auf, nicht nebenbei.
Wenn man im Waschsalon am Klinikum in Jena die Waschmaschine Nummer 1 und den Trockner A benutzt, dann hat man auf ewig Kaschte-Atome an sich kleben. Wem also das Konzert im F-Haus nicht Kaschte genug war, der sollte dringend noch einmal nach Jena fahren und seine Socken waschen.