Apocalyptica zelebrieren ihren Tourauftakt
Schweißtreibender Cello Rock, heiße Finnen und seufzende Fans
01.10.2015 [ft] Gestählte Körper wiegen sich bebend im Takt der Musik. Schweiß rinnt über die Brust, die Luft pulsiert im dunklen, schwülstigen und spärtlich beleuchteten Raum….Nein, sie lesen gerade keinen zweitklassigen Roman – Herzlich willkommen bei Apocalyptica!
Als ich hörte, dass mir die große Ehre zuteilwürde meinen ersten Konzertbericht über die finnische Ausnahmeband zu schreiben, war ich ganz hin und weg. Apocalyptica- wer kennt sie nicht? Ich kenne sie gut. War ich doch schon diverse Male mit ihnen im Bett, also rein musikalisch gesehen. Auch in der Bahn, in der Badewanne und auf dem Fahrrad waren sie schon mit mir unterwegs. Letzteres ist jedoch spätestens nach diesem Konzert nicht mehr zu empfehlen. Ich sage nur ein Wort: Tagträume!
Höre ich Apocalyptica, verspüre ich auch immer ein wenig Wehmut. Bin ich doch ein wenig traurig, dass ich sie nicht schon viel früher kennen lernen durfte. Ich bewundere diese Musiker. Nicht zuletzt, weil sie durch die harte Schule einer klassischen Musikausbildung gegangen sind. Das verbindet uns. Schließlich habe ich auch 8 Jahre lang im klassischen Sinne versucht, eine Geige zum Klingen zu bringen. Wer selbst schon einmal Unterrichtsstunden im Fach Streicher genommen hat, weiß wie schwierig es ist. Laut Könneraussagen dauert es bis zu 7 Jahre, bis das Spiel auf einem Streichinstrument gut klingt. Ich komme somit nicht umhin mir die Frage zu stellen, was aus mir geworden wäre, wäre ich nicht auf meinem Weg zum geigerischen Jugendtalent irgendwann links in die Pubertät und die damit folgende Rebellion gegen jegliche Form der Regeln, des normativen Spiels, Rhythmus, Vivaldi und Tempie abgebogen. Wäre ich vielleicht ambitionierter gewesen, hätte ich Apocalyptica damals schon gekannt? An der Entscheidung des ein oder anderen Hörers Cellounterricht zu nehmen, haben sie zweifellos eine maßgebliche Beteiligung. Somit haben die Cello Rocker dem zu Unrecht verkannten Instrument eine kleine Renaissance in den Musikschulen beschert. Weiterhin unzweifelhaft, dass Apocalyptica durch ihre Interpretationen von Bekanntem und ihren eigenen Werken eine neue Musikform kreiert und eine in sich sehr verschlossene einzigartige Musikrichtung für ein größeres Publikum geöffnet haben.
Mit 20 hatte ich die Ehre und das Glück sie zum ersten Mal live zu erleben. Natürlich spielten sie damals gefühlt nur für mich! Heute ist eine Dekade vergangen und die Jungens und ich sehen uns endlich wieder. Gut, ich muss zugeben, sie sind schon lange keine Jungen mehr und auch meine Jugend ist etwas fortgeschrittener. Wir sind alle reifer geworden. Dennoch haben die Finnen von ihrem Reiz und Charme nichts eingebüßt. Schon die ersten Klänge hüllen mich ein und trotz, oder vielmehr aufgrund ihrer famosen Bühnenpräsenz schweife ich doch immer wieder mit meinen Gedanken ab, die von der Musik getragen werden.
Den Auftakt der Shadowmaker Europe Tour 2015 und lediglich eines der nur acht Deutschlandkonzerte zelebrieren Apocalyptica im bescheidenen Hannover, der Stadt des gelebten Understatements. Für uns Hannoveraner ist dies eine große Freude und Ehre. Hannover ist ein schwieriges Publikum, so hört man. Nur schwer lässt sich der Hannoveraner zu Begeisterungsstürmen hinreißen. Hierzu muss man sich ganz schön ins Zeug legen. Dies tun Paavo, Eicca, Perttu und Mikko mit Leichtigkeit, sie verstehen ihr Handwerk. Ihre wahnsinnige Spielfreude ist mitreißend. Dass bis auf die Empore gefüllte Capitol genießt die Show, headbangt voller Inbrunst und ich mit. Die Werke des neuen promoteten Albums ‚Shadowmaker‘ werden ebenso gefeiert, wie die bekannten Klassiker. Dabei ist Apocalyptica absolut tanzbar. Stimmlich unterstützt werden die vier Herren von Franky Perez, der dieses musikalische Erlebnis abrundet. Sie spielen sich die Seele aus dem Leib und werden eins mit ihren Instrumenten.
Spätestens gegen Ende des Konzertes, als Perttu Kivilaak partiell seine Hüllen fallen lässt, ist das weibliche Publikum in Ekstase und auch ich kann mir so manch anerkennenden Seufzer nicht verkneifen. Ich fühle mich wie 15! Animalisch, sein Cello umschlingend, räkelt er sich auf dem Boden, spielt und spielt und entlockt dem Instrument die höchsten Töne. Ich erwische mich bei dem Gedanken ‚Ach könnte er doch auch einmal so auf mir spielen…‘ Verzeihung, ich schweife ab.
Ich kann mit Fug und Recht sagen, dass Apocalyptica über die Jahre nichts von ihrem Charme und ihrer Genialität verloren haben. Dies beweißt nicht zuletzt der tosende Applaus und die andauernden lautstarken Rufe nach einer Zugabe. Es wird wohl noch einige Zeit brauchen, bis ich in der Realität und meinem 32. Lebensjahr wieder angekommen bin. Das ist auch gut so, denn ein richtig gutes Konzert geht tief, verzaubert, und entlässt euphorisch in die Nacht. Und jetzt gehe ich ins Bett, mit Apocalyptica. Gute Nacht und süße Träume!
Gastredakteurin Florentine Thiér