ASP zelebrieren den „Verfallen“ Tourabschluss
Von verfallenen Gebäuden, magischen Verbindungen und jeder Menge Gänsehautmomenten
31.10.2015 [sh] Eine Idee wird zur Geschichte und ein seit fast zwei Jahrzehnten leerstehendes Gebäude zur Kulisse. Inspiriert von Kai Meyers Kurzgeschichte „Das Fleisch der Vielen“ nimmt die Erzählung „Verfallen – Folge 1: Astoria“ um das einstige gleichnamige Leipziger Luxushotel im Jahre 1919 seinen Lauf. Eine Horrorgeschichte, eingebettet in brachialen Klängen, unter die Haut gehenden Texten und ungewöhnlichen, vielschichtigen Rhythmen.
Eine lange Schlange windet sich an diesem Abend vor dem Stadtgarten gen Einlass. Selbst aus dem hohen Norden pilgern die Fans in Thüringens Landeshauptstadt, um Mastermind Alexander „Asp“ Spreng bei seinem diesjährigen Abschluss der aktuellen Tour zu erleben. Für mich ist ein ASP Konzert in der Heimat immer auch etwas Besonderes. So bildet die Kombination ASP, Thüringer Fans und Erfurter Stadtgarten eine Symbiose, die ihresgleichen sucht und mir regelmäßig eine wohlige Gänsehaut zaubert.
Mehr und mehr füllt sich der Innenraum des Stadtgartens. Pünktlich um 20.00 Uhr stürmen die Düsterrocker von Spielbann die Bühne. Dichter Nebel, wie auch blaues Licht hüllen die Mitglieder ein und bereits mit dem Intro „Der Hüter“ wird jedem klar, wer hier die Finger mit im Spiel hat. So steuerte Asp zum aktuellen Album „In Gedenken“ neben verschiedenen Songtexten auch Musik und Artwork-Ideen bei. Die Songs sind rockig, eingängig und gehen ins Blut. Die Energie auf der Bühne verbreitet sich auch unter den Thüringern und flutet den Saal. Es werden die Hände in die Höhe gereckt, sich zum Takt hin und her gewogen und mitgeklatscht. Ob mit ruhigen Klängen wie bei „Schwesterchen Frost“ oder rockigen Rhythmen wie „Bestie Deiner Welt“, die Fans sind Feuer und Flamme und tragen die Band bis zum Ende des Sets, welches sie mit „In alle Ewigkeit“ und unter kräftigem Applaus beschließen. Eine junge aufstrebende Band, die so manch neuen Fan an diesem Abend gewinnt.
21.00 Uhr. Wiederum hüllt sich der Stadtgarten in Dunkelheit und Nebel. Die ersten Töne erklingen und unter frenetischem Jubel positioniert sich die Band und Frontmann Asp entert die Bühne. Temporeich eröffnen sogleich „Wechselbalg“ und „Kokon“ das Konzerterlebnis. Mit „Himmel und Hölle“ findet der erste Song des aktuellen Albums Platz auf der Setlist und der Anweisung „Spring!“ folgen alle bereitwillig. Während Asp lediglich die Rabenfedern des „Krabat“ in der Hand hält, ertönt bereits ein lauter und vor allem textsicherer Chor. „Gehorche der Stimme des Meisters, gehorche ihr“. Die Euphorie packt die Fans und mich überzieht meine erste Gänsehaut des Abends.
Keine Zeit zum Ausruhen, das Durchatmen fällt schwer bei der gefühlten Sauerstoffknappheit im Stadtgarten. Es brennt die Luft, der Boden bebt und das Kondenswasser läuft von Scheiben und Wänden. „Betreten auf eigene Gefahr!“ Hier ist wohl eher das altehrwürdige Leipziger Astoria gemeint, als der Stadtgarten. Wobei letzterer auch bereits in die Jahre gekommen ist, aber gerade das macht ihn so besonders und das Ambiente so gemütlich.
Mit „Souvenier, Souvenier“, „Astoria Verfallen“ und der Geschichte um den Tod Hannelores, der Tänzerin „Loreley“, gewähren die Frankfurter weitere Einblicke in das aktuelle Werk. Wobei mir Einblick die falsche Formulierung scheint. ASP schafft es mit seiner Gestik, seiner Mimik und dem Tonfall seiner Stimme die Fans aus der Realität zu reißen und Teil der Geschichte werden zu lassen. Während sein Timbre elektrisierend wirkt, wechselt sein Ausdruck von angsteinflößend über von Irrsinn befallen bis hin zu alarmierend überzeugend und jagt einem so manch kalten Schauer über die Haut.
Die tobenden Fans, die aufgeheizte Masse sind für Herrn Spreng und seine Mannen einmal mehr der Grund zuzugeben, dass es sich lohnt. Dass der Weg abseits des Mainstreams zwar schwierig, aber nicht unmöglich ist. Man muss nicht seine Seele verkaufen, um erfolgreich zu sein, sondern willensstark und authentisch. So gibt es auch nur eine Antwort der Fans auf die entscheidende Frage „How far will you go?“. Überall hin und bis ans Ende. Es wird ausgelassen gefeiert, es wird gehuldigt und es wird getanzt. Hier im Saal, wie auch im Schnee des vergangenen Jahres. Ungeschickte Liebesbriefe, welche kein Papier füllen, sondern dessen Zeilen mit dem Finger auf die Haut, in Gesicht und ins Haar geschrieben werden. „Nur einen Tag noch Kraft und ich reiß alle Mauern um mich ein. Nur wer sich öffnet für den Schmerz läßt auch die Liebe mit hinein…“ Die Mimik in den Gesichtern der Fans, versunken, traurig, melancholisch, glücklich, verliebt. Erinnerungen werden wach, Gedanken kreisen, Tränen fließen und werden gestoppt. Durch einen Kuss, eine Berührung, ein Lächeln und wieder stellt sich Gänsehaut ein.
Für die Ballade „Schneefall in der Hölle“ erhält das charismatische Bandoberhaupt Unterstützung durch Spielbann-Sängerin Nic Frost, die nicht nur mit einer kraftvollen Stimme überzeugen kann, sondern auch nach Meinung des Frontmannes den Erotikfaktor auf der Bühne um ein Vielfaches erhöht. Mit „Werben“ wird es sogleich wieder rockiger. Die Euphorie auf der Bühne, wie auch im Publikum ist unbeschreiblich und gipfelt in der magischen Verbindung. „Ich ist tot, es lebe WIR…“. Man kann sie an diesem Abend, hier im Stadtgarten spüren, fühlen, greifen, erleben. Die Begeisterung der Fans kennt keine Grenzen und die Band zeigt sich sprachlos. Diese tiefe Verbundenheit die hier zu Tage getragen wird, ist kaum in Worte zu fassen, man muss sie erleben, den Herzschlag spüren, das einheitliche Beben auf sich wirken lassen. „Ich lebe immer noch, Ich gebe immer noch“ wird hier keineswegs als Drohung, sondern als tiefes Versprechen empfunden und mit kraftvollen, lautstarken „Vorwärts! Abwärts! Rufen beantwortet.
5 vor 12 schlägt die Uhr. Nicht nur das sich der Abend dem Ende neigt. So steht die Uhr auch für die Zeit, welche der Menschheit hier auf diesem Planeten noch bleibt, wenn sie so weitermacht. „Per aspera ad aspera“ und „Die Klippe“ beenden vorerst das Set und unter tosendem Applaus verlassen die Musiker die Bühne. Erfurt will eine Zugabe und das verkünden die Fans lautstark. Aber mehr noch, Erfurt möchte brennen und wird erhört. Aber bevor es schweißtreibend wird, gilt es der derzeitig hässlichsten Fratze Deutschlands den Kampf anzusagen, sie in die Schranken zu verweisen und mit „Ich bin ein wahrer Satan“ ein eindeutiges Statement abzugeben. Der Teufel ist los, das Feuer entfacht. „Ich will brennen! Auch wenn danach nur kalte Asche übrig ist. Ich will brennen! Selbst, wenn du meinen Namen morgen schon vergisst.“ Der Stadtgarten brennt und verbrennt das letzte bisschen Sauerstoff. Die Fans sind im Rausch, extatisch euphorisch und wieder verlässt die Band die Bühne. Erfurt ist noch nicht bereit für das Ende. Chorale Zugaberufe, frenetischer Applaus und donnerndes Stampfen lassen den Stadtgarten erbeben und die Gothic Rocker auf die Bühne zurückkehren. Die Ansage, dass es kaum noch Sauerstoff gäbe, wird einheitlich aus dem Saal mit einem kräftigen luftzufächelndem Winken beantwortet. Sprachlosigkeit und ein breites Grinsen auf der Bühne. „Rücken an Rücken“ und das Versprechen „Fortsetzung folgt“ beschließen daraufhin endgültig diesen Abend.
Was für ein euphorischer Abend. Was für ein fulminantes Konzert. Welch magischer Tourabschluss. Chapeau!