Ein Gentleman mit gelb-rot-grünem Blut in den Adern
Gentleman lässt die Sonne Jamaikas im Stadtgarten Erfurt scheinen
17.12.2010 [db] Lange mussten die Erfurter Fans auf Gentleman warten. Im Mai bereits sollte er für ein Konzert hierher kommen, doch damals wurde es abgesagt. Über ein halbes Jahr später sollte es schließlich doch noch klappen. Doch vorher musste man sich in der Eiseskälte vor dem Stadtgarten in Geduld üben – während man durch die Glastür am Einlass schon das Bühnenbild mit dem gigantischen Schriftzug „diversity“ sehen konnte und die Rhythmen vom iPod eines wartenden Fans dudeln hörte: „I know Jah love it is superior“. Währenddessen wurde die Schlange vor den Türen der Location immer länger. Bis Einlassbeginn sollte sie bis zur Straße hinausreichen. In mir hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon Jamaika, nur die Außentemperatur wollte noch nicht so recht mitspielen.
Tillmann Otto alias Gentleman hat Dancehall und Reggae in Deutschland wieder populär gemacht – und an diesem Abend danke ich ihm wirklich dafür. Es gibt Phasen, vor allem im Sommer, in denen dieser Sound immer und überall perfekt zu passen scheint. Es gab auch eine Phase, in der man hätte meinen können, dass der Lauf von Gentleman vorbei sei. Weit gefehlt. Der Stadtgarten wurde am Freitagabend zum Zentrum des Dancehall. Strahlende Gesichter, wo man hinsah. Glückliche Menschen. Furchtbar. Nein, im Ernst. Es machte wirklich Spaß, immer wieder einen Blick ins Publikum zu werfen. Fans von Reggae sind einfach entspannter. Blätterketten und Dreadlocks. Vor ihnen lag ein Abend mit einem mittlerweile gereiften und zum Major Label-Artist geadelten Künstler, der es wie kein anderer musikalisch vermag, Brücken zu schlagen. Mit seinem aktuellen Album „Diversity“ (Vielfalt) lässt er die Kultur und die Vives Jamaikas wieder ganz nah an Deutschland herankommen. Und das tut sehr gut. Es zeigt, dass deutsche Musiker nicht nur sich selbst zu ernst nehmenden Rock machen oder pseudointellektuellen Pop – Deutsche können auch dancehallen. Und wie! Der Einstieg in den Abend verlief sehr ruhig und steigerte sich immer mehr. Noch während am Einlass fleißig kontrolliert wurde, betrat ein junger Kerl mit einem unverschämt breiten Grinsen und einer Gitarre die Bühne. Dominik Haas, so sein gebürtiger Name, schien die Sonne so gleißend hell aus dem – nun ja – Allerwertesten, dass man sich seinem Optimismus, seiner Dankbarkeit und seiner Lebensfreude kaum entziehen konnte. Gemixt mit den positive vibrations, die seinen Songs entströmten, konnte er schon während seines 20-minütigen Auftritts die Sonne scheinen lassen. Jahcoustix nennt seinen Sound „organisch-akustischen Soul-Reggae“ – dazu wippen und tanzen geht jedenfalls wunderbar. Nach ging die Liveband von Gentleman auf die Bühne, doch der stand noch recht entspannt oben auf der Empore – denn eine Etage weiter unten, sollte erst einmal Christopher Martin der holden Weiblichkeit huldigen und auf den Boxen herumspringen, die Hüften lasziv kreisen lassen – und wenn man den Kerl in dem Moment keinen Meter von sich entfernt hat, vergisst man da schon mal das Fotografieren. Er bereitete den Weg für seinen „Boss“ – der dann schließlich den Saal vollends zum Reggae Heaven machte. Über allem der Duft nach Sonne und mehr. “So many beautiful people here!“ Doch vom Happy-Sound des Gentleman sollte man sich nicht täuschen lassen – der Sound ist nur der Zugang. Er hat viel zu sagen. Er hat offene Augen und Ohren und manchmal schmerzen seine Texte. Doch für ein Konzert ist das dann doch zu viel verlangt, dass man de, Text der Melodie und dem über allem liegenden Gefühl den Vorrang gibt. An diesem Abend war es wichtig, dabei zu sein und den Rhythmus zu spüren. Dem Leben in all seinen Farben und Formen zu huldigen. In all seiner Vielfalt, in all its diversity.