Mit Hannover zum Keim des Lichts
Von Einhörnern, Seifenblasen und Göttern
03.11.2016 [ds] Ein halbes Jahr ist die neue Scheibe von Hämatom schon alt. Ein halbes Jahr in dem Hämatom nicht untätig war: Releaseshows, Festivalshows und anschließend mit In Extremo unterwegs (wir berichteten). Ende Oktober ist es dann soweit, die eigene Tour zum neuen Album, dass von Nord nach Süd durch die Republik führt. Mit dabei sind die bisher völlig unbekannten apRon, bei denen man sich nach der Show fragt, warum man von denen noch nichts gehört hat und wieso auch eine Internetrecherche so wenige Ergebnisse liefert. Besser hätte man ein auf Hämatom wartendes Publikum kaum auf die vier Himmelsrichtungen einstimmen können.
Also Bühne frei für die kuriose Formation apRon, bei denen man zu Beginn doch rätseln darf, was das Ganze soll. Da wäre der Sänger, das Gesicht im Schatten eines großen weißen Cowboyhuts. Besonders auffällig der extrovertierte Kerl hinter den Drums: Dreadlocks, eine Gesichtshälfte weiß geschminkt. Der Basser könnte in seinen Klamotten auch einen Kasinotisch bedienen und die Gitarre würde bei einer beliebigen Thrash-Metal Band problemlos ins Bild passen. Musikalisch ist das Ensemble irgendwo zwischen Experimental und Crossover anzusiedeln, was zwar erstmal befremdlich klingt, aber doch irgendwie ins Ohr geht. Was den Jungs aber wirklich gelassen werden muss ist, dass sie unendlich viel Spaß an ihrer Musik zu haben scheinen. So viel Feuereifer und Freude kann nur noch mit der Bühnendekoration auf ein Maximum an Spaß für das Publikum getrieben werden, wenn man ein grinsendes Einhorn mit leuchtend roten LED-Augen hat und sich nicht scheut, überall Konfetti und Seifenblasen aus der Seifenblasenpistole zu verteilen. Am besten merken wir uns die Gesichter, werden wir in Zukunft hoffentlich noch mehr von ihnen hören und auch heute Abend werden Sie uns nochmal begegnen.
Doch jetzt ist erst einmal Zeit für den Headliner. Hinter einem, auch wenn es ungewöhnlich für ein Metalkonzert erscheint, weißem Banner finden die Umbauarbeiten statt. Dann bilden Scheinwerfer, irgendwo auf der Bühne positioniert einen weißen, hellen Kreis aus Licht auf das Banner. Eine Person wirft darin einen Schatten: Süd! Ganz dünn wirkt der Schatten. Ein dumpfes Bassgrollen, ganz unverkennbar steht West jetzt hinter dem Banner. Auch seinem Schatten haftet ein mulmiges Gefühl an. Jetzt ist Ost an der Reihe. Unverkennbar ist der Iro aus Nägeln auf seiner Maske und doch irgendwie ungesund verzehrt. Es fehlt nur noch Nord. Sein Schatten ist kaum mehr als ein Strich. Die Arme eng am Körper angelegt durchfährt es mich wie ein Blitz: KZ-Häftlinge. Das Banner fällt und „Wir sind Gott“ erklingt. Die Gänsehaut ist sofort wieder da. Den Songtext auf den Lippen lässt mich der Gedanke, ob das Schattenspiel wirklich eine Anspielung auf die NS-Zeit ist, nicht los. Passen würde es, schließlich sind wir Gott. Jeder von uns.
Anschließend folgt ein Feuerwerk an großartigen neuen Songs, den älteren Krachern und teils bekannte Showeinlagen. Natürlich darf bei „All U Need Is Love“ kein Pyro fehlen, dessen Druckwelle das Musikzentrum komplett erfasst und den ein oder anderen erschreckt haben dürfte. Ein weiterer Geniestreich der Show ist die geradezu explosive Mischung aus fetten Songs, die zwangsweise zum Ausrasten verleiten und Balladen, bei denen man zum Luft holen kommt. Eine dieser Balladen ist „Zu wahr um schön zu sein“, bei dem es sich Nord in einem riesigen Ohrensessel bequem macht. Beleuchtet von Strahlern bleibt alles außerhalb des Sessels in einer Dunkelheit, die Ost an seiner Akustikgitarre verschluckt, mit der er den Song begleitet. Dieser Moment, dieses Feeling ist einfach zu schön zu wahr zu sein. Ebenfalls erwähnt werden sollte der Song „Auge um Auge“, der durch ein Drumsolo unterbrochen wird. Nord und West verlassen die Bühne um Ost genug Platz für seine T-Shirt Kanone zu lassen. Als alle T-Shirts verschossen sind und einen neuen Eigentümer gefunden haben, geht der Song mit der letzten Strophe weiter, sodass wir kurz darauf mit Hämatom und „Ikarus Erben“ zum Keim des Lichtes aufbrechen können. Doch bevor wir tief fallen, wollen wir, dass es im Programm weitergeht. Ganz ohne Eile und mit einer beachtlichen Ausdauer hauen Hämatom ein Song nach dem anderen raus: „Totgesagt“, „Fick das System“, „Feuerwasser“ oder „Eva“ sind alle auf der Setlist zu finden. Zu Offline erleuchten etliche Smartphones das Musikzentrum und auch das Cover „2 Finger an den Kopf“ von Kids kommt unglaublich gut an. Zum letzten Song vor der Zugabe feiern wir dann mit „Halli Galli“ eine fette Party. Das lassen sich, wir haben es ja gesagt, auch die Jungs von apRon nicht entgehen und bringen Konfetti und noch mehr Seifenblasen mit. Dann geht das Licht aus.
Die Zugabe besteht dann nochmal aus drei richtig guten Songs: „Mein Fleisch und Blut“ ist als Ballade noch ein letztes Mal die Chance, Luft für „Alte Liebe rostet nicht“ zu holen und selbstverständlich „Leck mich“. Damit dürfte dann echt jeder endgültig zufrieden sein und niemand kann sagen, er hätte nicht ein unendlich geiles Konzert gesehen.
Zum Schluss bleibt nur zu fragen, ob die Botschaft dieser extrem nachdenklichen Band auch ein Echo im Handeln der Konzertbesucher findet. Denkt daran: Wir sind Gott!
Redakteur: Daniel Stahlmann