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Holly Loose liest „Das weiße Buch des Jadefalken“

Holly auf Lesetour-15Leise Töne auf der Bühne und im interview auf der Landlese – Holly Loose „Das weiße Buch des Jadefalken“ mit Landüber

12.02.2010 [db] Leise Töne sind es an diesem Abend im Haus der Pioniere in Gera. Schon beim Eintreten merkt man, dass alles ein wenig ruhiger sein wird. Kerzen säumen die Treppenstufen hinauf zum Saal. Im Inneren ist alles Weiß. Die Decke ist mit Segeltüchern abgespannt. Auf der Mitte der Bühne stehen ein Tisch, ein Stuhl, eine Lampe, ein Mikrofon. Dahinter zwei Stühle – links und rechts, an deren Seite ein Cello und ein Saxophon stehen. Sehr puristisch. Gedämpftes Gemurmel, bis drei Männer – beinahe nebenbei – die Bühne betreten. Applaus. „Mein Name ist Loose und ich lese heute.“ Die Herren nehmen Platz, dann noch eine Frage an das Publikum: „Bevor ich anfange, sei gestattet ein kurzes Liedchen?“ Natürlich. Dann erklingt „Der Garten“, ein Stück vom aktuellen Album der Letzten Instanz „Schuldig“, so anders und so schön. Das ganze Buch werde er nicht lesen, dann säßen wir bis zum Sonntag hier. Einige Kapitel aus seinem Roman „Das weiße Buch des Jadefalken“, unterbrochen von neuinterpretierten Stücken der Letzten Instanz. Holly singt an diesem Abend sitzend, die Liveenergie, die er sonst auf der Bühne versprüht, hält er unter Verschluss. Die Landlese ist leise, melancholisch und sehnsüchtig.

Im Februar ist Holly mit Benni Cellini und Karl Helbig (Landüber) gemeinsam auf Landlese. Wer ein Buch schreibt, muss es auch lesen. Nein, nicht einfach lesen – erleben lassen. Denn die Landlese ist keine schlichte Lesetour. Der musikalische Rahmen macht es besonders. Doch worum geht es eigentlich? Gott und Allah, Berge und Täler, Berlin und Istanbul, Laura und Çingiz. Liebe. Das ist kurz umrissen der Inhalt seiner Geschichte. Es ist die Geschichte einer Linie durch die Zeit, einer 30 Jahre währenden Liebe. Es ist eine Geschichte, die nach Sonne duftet. Eine Erzählung gesäumt von Oleanderbüschen, Salbei und Olivenbäumen. Aus dem Grau hinaus in das Licht. Hin und zurück. Eine Geschichte von Verstehen und Erkennen. „Das weiße Buch des Jadefalken“ ist aus der Sicht einer Frau geschrieben. Es erzählt, wie es sich anfühlt, sich in einen Mann zu verlieben, der einer anderen Kultur angehört und der an einen anderen Gott glaubt. Es spannt den Bogen über drei Jahrzehnte mit schönen, aber auch traurigen Momenten. Zwischen den gelesenen Worten erklingen leise, manchmal auch lauter, das Cello und das Saxophon. Wenn man die Augen schließt, kann man das kleine Haus, vor dem Laura sitzt, wenn sie sich erinnert, fast sehen. Dann kann man ihren Schmerz spüren, aber auch die Liebe, die die Jahre überdauert hat. Danke. Mehr davon.

Nach der Lesung gab Holly uns ein Interview.

Holly auf Lesetour-16

 

Doreen: Ein Mann erzählt die Geschichte einer Liebe aus Sicht einer Frau. Wie bist du auf diese Perspektive gekommen?

Holly: Bei jedem anderen Thema würde ich vielleicht aus der Sicht eines Mannes schreiben. Aber ich habe überlegt, aus welcher Sicht man das schreibt – es handelt ja in Istanbul in den 50er Jahren – aus der Sicht von Çingiz oder aus der Sicht von Laura. Und Laura kann wenigstens Deutsch. Das empfand ich als einfacher, aus der Sicht der Deutschen zu schreiben, da ich die türkische Mentalität ja gar nicht drin hab. Ich bin ja selber Deutscher, da ist es einfacher aus der Sicht eines Deutschen, als aus der Sicht eines Türken zu schreiben. Und dass der Deutsche nun eine Frau ist, das war das kleinste Problem.

Doreen: Wie bist du überhaupt auf die Geschichte gekommen? Du lebst selbst mit deiner Frau in Istanbul. Lässt du autobiografisches einfließen?

Holly: Nein. Das autobiografische sind tatsächlich nur die Kindheitserzählungen. Ich war also kein schlechter Bub [lacht]. Den Großteil der Geschichten habe ich gehört, im ersten Jahr als ich in Istanbul ankam und mich eingelebt hatte. Als ich Freunde kennengelernt hatte, ältere Menschen, Deutschtürken, sogenannte Deutschländer, so nennt man sie dort, die in den 1960/70ern Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen sind und sich danach wieder nach Istanbul zurückbegeben haben. Die können natürlich alle ein bisschen Deutsch und haben es auch nicht verlernt. Und die haben mir dann ihre Geschichten erzählt, wie sie nach Deutschland kamen, wie sich einzelne Paare gefunden haben. Unter anderem wohnte da auch ein deutsch-türkisches Pärchen, das ist eine kleine Adaption. Ansonsten habe ich die einzelnen Geschichten auf die beiden Protagonisten gemünzt und nach zwei Jahren war es dann fertig.

Doreen: Nach „Eiszeitreise“, deinem 2008 erschienenen Debütroman, hast du „Das weiße Buch des Jadefalken“ ja sehr schnell nachgeschoben. Wie kann man sich den Schaffensprozess vorstellen – entstehen deine Geschichten „nebenbei“ auf Tour oder nimmst du dir dann eine richtige Auszeit zum Schreiben? Wo nimmst du die Zeit her?

Holly: Ich hab mehrere Sachen in der Schublade und schreibe parallel, mal daran und mal daran. Mal schreibe ich Texte für die Instanz, mal schreib ich kleine Kolumnen, manchmal geh ich auch auf Tour mit der Band und manchmal proben wir auch. Man braucht ein vernünftiges Zeitmanagement, das ist richtig. Das habe ich mir irgendwie angeeignet und schlafe jetzt nur noch zwölf Stunden [lacht].

Doreen: Zwölf Stunden? Also nimmst du dir keine Auszeit zum Schreiben.

Holly: Nein, das geht nicht. Die Letzte Instanz hat Vorrang. Und wenn eine Zeit dazwischen ist, dann mache ich entweder nix oder widme mich der Büroarbeit, die bei der Letzten Instanz ja auch viel anfällt. Und wenn da auch nix zu tun ist, dann schriebe ich meine Geschichten, schaue, wie weit die gediegen sind. Ich stehe da auch in regem Kontakt mit meinem Verlag, Periplaneta.

Doreen: Beim Lesen ist mir aufgefallen – wenn man in eine fremde Kultur eintaucht, dann ist das Lernen der Sprache ja nicht alles. Was ist die größte Hürde?

Holly: Also schon das Erlernen der Sprache. Das war für mich die größte Hürde. Das kann ich auch immer noch nicht gut. Ich kann Einkaufen, ich kann schimpfen, aber für eine politische Diskussion reicht es noch lange nicht aus. Ein bisschen Small Talk das geht schon. Das war sehr schwierig. Das mit der Mentalität war nicht so schwierig, das berührt mich auch nicht so. Ich komme damit klar, dass es ein Volk von Händlern und Eroberern ist. Da ist es ein wenig lauter und es stört niemanden, wenn nachts um drei einer mit einem Hammer ein Bild an die Wand schlägt. Daran muss man sich gewöhnen, aber das ist nicht das Problem. Schwieriger war es, die Sprache zu lernen.

Doreen: Du liest ja nicht nur, ihr interpretiert ja auch Lieder der Letzten Instanz passend zum Roman. Warum hältst du keine normale Lesetour ab – allein mit einem Tisch und einem Stuhl auf einer Bühne und dem Publikum? Warum gibt es den musikalischen Rahmen? Wie wichtig ist dir die Begleitung durch Benni Cellini und Karl Helbig?

Holly: Ich bin in erster Linie Sänger und ich war vorher noch nie auf eine Lesung. Dafür hab ich mich nie interessiert. Und als dann die Frage vom Verlag kam: „So, jetzt hast du ein Buch geschrieben, jetzt musst du auch eine Lesung machen.“ Wie mach ich denn das? Dann sagen sie: „Naja, stellst dir einen Tisch hin, einen Stuhl davor, Lampe auf den Tisch und dann legst du los.“ Und das war mir dann ein bisschen zu trocken. Ich hätte es auch alleine auf die Bühne geschafft und hätte es alleine durchgezogen, aber es war mir zu trocken. Dann hab ich mit Benni drüber gesprochen, der ja auch ein Projekt mit dem Karl zusammen hat und sphärische Musik macht – das was wir heute gehört haben. Ich habe ihn gefragt, ob er mich begleiten möchte, da war gar nicht die Frage nach Liedern, sondern nach einer guten Untermalung. Er sagte: „Nee, machen wir nicht. Ich hab da meinen Kumpel Karl, mit dem geh ich immer selber auf Tour. Wir nehmen jetzt die Instanz-Songs und gucken, wo sie passen und welche Lieder passen und modeln sie so um, dass sie mit Saxophon und Cello gespielt werden können.“ Dann haben wir Pausen und lockern das Ganze ein bisschen auf. Und dann können wir gut zwei bis zweieinhalb Stunden durchziehen, ohne dass es langweilig wird und der ein oder andere schon beginnt zu schnarchen.

Doreen: Gera ist die dritte Tourstation. Wie waren die ersten beiden Lesungen für dich? Wie ist das Empfinden für dich?

Holly: Es wird jetzt immer sicherer. In Leipzig haben wir es fast nicht auf die Bühne geschafft.  Wir drei nicht. Dann sind wir fast Hand in Hand bis zum Bühnenrand hin.

Doreen: Echt? Lampenfieber?

Holly: Ja. Das hat man immer. Es gibt Leute, die haben wenig Lampenfieber und es gibt Leute, die haben viel Lampenfieber. Ich gehöre zu der zweiten Riege. Also mir geht es immer dreckig. Eine halbe Stunde vorher will ich mit keinem mehr reden. Ich will in Ruhe gelassen werden. Ich steh dann an der Treppe, das ist wie ein Einmarsch der Gladiatoren. Dann fangen die Leute schon an zu brüllen und das Intro geht los und ich denke nur „Scheiße, Scheiße, Scheiße“. Und dann gehst du hoch und dann kommt alles plötzlich von selber. Dann dauert es keine zehn Sekunden und ich bin drin, das Lampenfieber ist weg. Nur die Zeit davor ist ätzend. So ist das bei einer Lesung auch.

Doreen: Eine letzte Frage: Sonne oder Schnee?

Holly macht große Augen.

Doreen: Das ist ernst gemeint.

Holly: Schnee. Ich freu mich noch über den Schnee. Meine beiden Kollegen nicht so. In Istanbul haben wir nur drei Tage Winter.

Danke.

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