Im Reich des Fährmanns
Das Fährmannsfest in der 27. Auflage
01.08.2010 [sh] Einst verband eine Seilfähre über die Ihme, den Stadtteil Linden mit Hannover. In Gedenken an diesen Fährmann rief man 1983 das Musik- und Kulturfestival ins Leben. Dort wo Ihme und Leine zusammentreffen, auf den Wiesen und Auen an der Justus-Garten-Brücke lädt am ersten Augustwochenende das Fährmannsfest zum Feiern ein. Ein kleines Stadtteilfest, welches sich mittlerweile zum größten alternativen Open Air Festival der Region Hannover gemausert hat und auch liebevoll das kleine Woodstock an der Leine genannt wird. Die Idee, ein familienfreundliches Nachbarschaftsfest zu veranstalten, hat sich auch bis heute durchgesetzt. Lediglich für den abgegrenzten Bereich des Musikfestivals wird inzwischen zur Deckung der Kosten an zwei von drei Veranstaltungstagen ein geringes Eintrittsentgelt erhoben. Das Publikum ist bunt gemischt, denn beim Fährmannsfest handelt es sich nicht um ein Spartenfestival. Es lebt von der Abwechslung und den vielen verschiedenen Genres. Von Pop bis Metal, Kleinkunst bis Zirkusvorführungen, regionalen Newcomer bis hin zu international bekannten Headliner ist alles vertreten und die Kleinen unter uns vertreiben sich die Zeit im Üstra-Hüpfbus, in Märchenstunden oder beim beliebten Kinderschminken. Für internationalen Flair sorgen unter anderem die Gäste des Kulturcamps, welches den Jugend- und Kulturaustausch zwischen Hannover und seinen Partnerstädten unterstützt. Zudem stellen Initiativen, Gruppen und Vereine ihr gemeinnütziges Engagement in Hannover vor.
Freitagnachmittag, strahlender Sonnenschein. Wir schließen uns dem Strom der Besucher an und kommen nach kurzem Aufenthalt an Kasse und Kontrolle auf das Gelände. Hier haben es sich bereits Jung und Alt gemütlich gemacht. Das Line Up der Hauptbühne ist heut überwiegend auf Heavy Metal ausgerichtet. Die Hannoveraner Band ATHORN beschreiben ihren Stil als eine Symbiose aus Thrash-, Death-, Power- und Prog-Metal und bezeichnen ihn gern als Symbiotic Metal. Es macht Spaß sie live zu erleben und so füllt sich auch der Platz vor der Bühne rasch. Aus Grailham City finden vier tapfere Helden, die Ausnahmemetaller GRAILKNIGHTS, ihren Weg an die Ihme. Sie folgten Dr. Skull, der sich unberechtigterweise den Heiligen Gral unter den Nagel oder besser gesagt unter seine knöcherne Hand gerissen hat. Ihre Mission nun ist es, diesen wieder zurückzuerobern. Mit melodischem Death Metal bringen sie ihr Gefolge regelmäßig zum Ausrasten, während selbiges mit dem obligatorischen „Grailknights Battle-Choir! – Yes Sire!“ – Ruf ihre Treue beweisen. Zapf Beauty, die treue Bierversorgungsstute verteilt ihr lebensspendendes Gut auch hier unter den Kriegern und Kriegerinnen, die sich daraufhin sogleich mit der Hilfe beim Kampf gegen den gigantischen Drachen revangieren.
Zwischendurch schauen wir auch immer wieder auf die andere Seite der Ihme. Hier steht ein umfangreiches Programm von Singer/ Songwritern über Indi-Rock bis hin zum lyrischen Wahnsinn mit Stumpen auf dem Zeitplan. Auf letzteren bin ich ganz besonders gespannt, denn Gero Ivers, der ehemalige Sänger der etwas anderen Boyband Knorkator kommt mit einem Auszug aus seinem Soloprogramm „Stumpen liest immer alles und singt vielleicht“. Seine Suche auf Flohmärkten, im Keller und auf Mutters Dachboden nach Vorlesenswertem war erfolgsgekrönt. So hat er nun eine Auswahl an eigenen Poesiealben, Bewerbungen, Zeugnissen und sogar Einkaufszettel im Gepäck, aus denen die Zuschauer wählen was er vorträgt. Auch eigenes Material ist erlaubt. Später dann wird dieser Programmpunkt leider doch sehr kurzfristig abgesagt. Aufgrund des starken Zeitverzuges des Kulturbühnenprogramms kommt man sonst mit der behördlich verordneten Sperrstunde in Konflikt. Schade, denn die zeitlich verlängerte Show von Odeville kann den nun nicht zustande gekommenen, außergewöhnlichen Lesungsgenuss nicht wettmachen. Die Dämmerung setzt ein. Was kann nach Dr. Skull nun noch folgen? Die Pest? Die Apokalypse? Hier in Hannover? Wenn Thüringer die Landeshauptstadt Niedersachsens erobern, hat das nix mit Weltuntergang zu tun, jedenfalls nicht für die meisten. Ein wenig Lokalpatriotismus darf an dieser Stelle erlaubt sein. Als Thüringerin und gebürtige Erfurter Puffbohne fühle ich mich im Sichtbarkeitsumfeld der Türme von Dom und Severi erst wirklich daheim. Umso mehr freue ich mich, so fern der Heimat, Landsleute zu treffen. Leider konnte ich die Weimarer Apokalyptischen Reiter bisher noch nicht live erleben und bin dann umso mehr erstaunt, wie sie mit ihrer Mischung aus Melodie und Härte, eindringlichen Texten und einer überzeugenden Bühnenperformance Ihre Jünger in den Bann ziehen. Die „Revolution“ wird angezettelt und der Fuchs erhebt sich per Hebebühne einige Meter in die Luft, wo er über seinem Volke thront und die Fahne schwenkt. Unbeirrt galoppieren die Reiter weiter und spätestens nach „Riders on the Storm“ locken sie auch den Rest der als sonst so unterkühlt geltenden Norddeutschen positiv aus der Reserve.
Das Kinderfest auf der Faust-Wiese zieht am Samstag viele Familien an. Hoch hinaus geht’s hier für die Kleinen an der Kletterwand oder beim Erklimmen des immer höher werdenden Turmes aus Getränkekästen. Natürlich alles professionell gesichert und unter Aufsicht von Fachmännern. Bereits seit vergangenem Montag konnten interessierte Kinder an einem Zirkusworkshop teilnehmen. Hier und Heute haben sie nun die Chance ihr ganz eigenes Zirkusprogramm vor Eltern, Verwandten, Freunden und Fremden zu präsentieren. Die Freude über das Gelingen von Seiltanz, Jonglage oder Akrobatik ist den Akteuren ins Gesicht geschrieben und der Applaus – die Anerkennung – ist das schönste Geschenk. Ein paar Meter weiter finden wir uns im Orient wieder. Die Erwachsenen können sich traditionell ein Wasserpfeifchen gönnen, während die Kleinen den Geschichten aus 1001 Nacht lauschen oder beim Bauchtanz ihre Hüften zum Schwingen bringen. Nach einem Kaffee und leckeren Crepes geht’s nun über die Brücke in Richtung Musikbühne. Zögernd nur startet man hier in den Samstag. Nach BLAKVISE und SEE YOU NEXT TUESDAY rocken nun FIBRE vor einer endlich immer größer werdenden Zuschauerzahl. Aufgrund einer Autopanne der Göteborger KID GALAHAD dürfen Fibre ein verlängertes Konzert geben und die Schar der Tanzenden wächst an. Eine Mischung aus Latin, Ska, Reggae Punk und Rock kommt mit den Argentiniern KARAMELO SANTO auf die Bühne. Immer mehr möchten dieses ausgelassene Partygefühl hautnah erleben und strömen auf die Wiese und am Ende kocht das Besuchermeer. Dies war nicht nur ein Anheizen sondern schon „Ein unter Strom“ setzen. Die Menge hat nun die richtige Temperatur erreicht und DIE HAPPY´s Frontfrau Marta Jandová flitzt über die Bühne, flirtet mit dem Publikum und animiert die Massen zum Feiern, Mitsingen, Tanzen und gemeinschaftlichen Feuerzeugreigen. Seit vielen Jahren sind Die Happy festivalerprobt und bieten eine energiegeladene Rockshow in perfekter Art und Weise. Auch heute Abend beweisen sie mal wieder pure Spielfreude, die sie sich auch über die Jahre bewahrt haben.
Sonntag ist traditionell auch die Hauptbühne kostenfrei zu erreichen. Ein grauer Himmel und immer wieder Regenschauer dominieren den Tag. Trotz allem lassen sich die Besucher nicht davon abschrecken auch diesen dritten und letzten Tag des Fährmannsfestes mit einem bunten Programm – sei es nun Punk, Pop oder Jazz – ausgelassen zu feiern. Waren es noch im vergangenen Jahr 18.000 Gäste, so zählte man in diesem Jahr sage und schreibe ca. 20.000 Besucher.