In Extremo im Kulturhaus Gotha
Ein Sofa, Blumen und In Extremo – tranquilo
12.03.2010 [db] Im Kulturhaus Gotha gibt es keine Stehplätze. Dafür viele Reihen rot gepolsterter Stühle. Dazu eine Bühne aus den 1970ern. Hier ist alles noch aus einer anderen Zeit. Auf der Bühne stehen eine Couch, eine Stehlampe und ein paar Blumen. Straßenlaternen im Hintergrund. Gemurmel über allem. Wie Besucher einer Veranstaltung in einem Kulturhaus sehen die wenigsten aus. Jeans und T-Shirts mit leuchtenden Aufschriften. Eine Aufschrift sieht man auf beinahe jedem T-Shirt: „In Extremo“. Dazwischen ein paar Damen in Abendrobe mit Sektgläsern in der Hand. Doch hier hat sich niemand verlaufen. Jeder Einzelne von ihnen ist genau richtig. Jeder Einzelne von ihnen will Spielmänner sehen – heute Abend in einem anderen Gewand. In Extremo sind auf Tranquilo Akustiktour und interpretieren ihre Songs neu. In einem völlig anderen Gewand, manche Lieder erkennt man nicht auf Anhieb. Einige sind selbst ruhiger noch richtig laut. Die Kraft, die der Band innewohnt, können sie nicht verstecken. Sie brodelt unter dieser ungewohnt ruhigen Oberfläche.
Das Licht im Saal geht aus und die Künstler von In Extremo nehmen unter Applaus ihre Plätze ein. Die ersten Töne erklingen und verstummen gleich wieder. “Wartet mal kurz, da kommen noch Gäste. Du sagst Bescheid, wenn du sitzt?”, feixt Frontmann Micha und beginnt mit einem kleinen Lächeln den Abend. Im Kulturhaus Gotha sind zu diesem Zeitpunkt Saal und Ränge voll besetzt. Die restlichen Karten fanden an der Abendkasse noch schnell Abnehmer. Drinnen herrscht andächtige Ruhe, während die Band loslegt. Beim zweiten Song “Spielmann” ist es dann mit der Ruhe vorbei, die ersten zappeln auf ihren Sitzen und klatschen mit. “Das nächste Lied ist eine Lebensbeichte, manchmal hat es man nötig, manchmal nicht. Wir sind schon lange darüber hinweg”, so das letzte Einhorn alias Micha Rhein. Es scheinen nur Sünder ohne Zügel hier versammelt zu sein. Denn trotz der Tatsache, dass man hier sitzen muss, ist die Stimmung gelöst und locker. Fast sündhaft gut. Hier und da recken sich bei jedem Song Hände die Luft, ganze Reihen sitzen in rhythmischem Einklang wippend da. Die einmalig raue Stimme des letzten Einhorns in Verbindung mit den neu arrangierten Stücken und einem Publikum, das begeistert mitgeht – dichter kann live nicht sein. Atmosphärischer kann live nicht sein. Wenn der kräftige Dr. Pymonte die Harfe spielt, ist das ein Anblick, der unvermittelt ein Lächeln herbeizaubert – dieser Gegensatz zwischen Mann und Instrument, dieses zarte Spiel. Und im selben Moment fläzt sich Micha auf sein Sofa und sieht seinen Mitstreitern mit verschränkten Armen entspannt zu. Doch nicht lange, denn bei “Ave Maria” kann er sich kaum auf dem Sitz halten, die Füßen stampfen im Takt, das Mikrofon samt Ständer wird hin und her gewirbelt. Zwischendurch wird das Publikum unter Gelächter dialektisch berichtigt: „Das heißt nicht klötschen, sondern klatschen.“ Die Männer aus Berlin mit thüringischen Wurzeln sind in Gotha und das sollen sie auch hören.
Mit ihrem zeitübergreifenden musikalischen Stil sind In Extremo eine feste Größe auf nationalen und internationalen Bühnen. Seit ihrer Gründung im Jahre 1995 haben sie auf nahezu jedem großen Festival überzeugt: von Rock am Ring bis hin zum Wacken Open Air, von Roskilde bis hin zu Clubs wie dem verschwitzten Berliner Knaack und an diesem Abend im gediegenen Kulturhaus zu Gotha. Überzeugend. Lebhaft. Mit allen Sinnen. In Extremo.