Von Wahrsagungen, Rieseninsekten und kleinen Irrlichtern
Das Kleine Fest im Großen Garten feiert die 28. Saison
17.07.2013 [sh] Im Jahre 1638 lediglich als Küchengarten angelegt, zählt der Große Garten in Herrenhausen heute zu den bedeutendsten Barockgärten Europas und ist das historische Kernstück der Herrenhäuser Gärten. Generationen von Adelsgeschlechtern und große Baumeister haben ihre Ideen verwirklicht und dem heute noch ca. 50 Hektar großen Gelände sein Antlitz verliehen. Aber auch von Verwahrlosung und Zerstörung blieb der Garten nicht verschont. So fiel unter anderem das Schloss einem Luftangriff im Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Mitte der 60er Jahre war der Garten an sich weitestgehend wiederhergestellt. Mit Hilfe der Volkswagen Stiftung nahm man 2009 die Neuerrichtung des Schloss Herrenhausen und die Rekonstruktion der klassizistischen Fassade in Angriff. Anfang des Jahres 2013 fertiggestellt, dient es als wissenschaftliches Tagungszentrum. Die Herrenhäuser Gärten hingegen laden jährlich zu zahlreichen Veranstaltungen ein. Ob internationaler Feuerwerkswettbewerb, Musical- und Theateraufführungen, Konzerte oder Kunstausstellungen. Einen festen Termin hat auch das als mittlerweile internationales Kleinkunstfestival etablierte „Kleine Fest im Großen Garten“. Noch bis 28. Juli begrüßt der Mann mit dem Zylinder die Besucher des 28. Kleinen Festes. Ob nun durch Losglück oder Geduld an der Abendkasse, glücklich derjenige, der eine der streng limitierten Eintrittskarten sein Eigen nennt.
18.00 Uhr. Die Abendkasse ist bereits geschlossen. Die letzten 200 Karten des Abends fanden reißenden Absatz und noch immer zeugen Schilder mit Kartengesuchen von der verzweifelten Hoffnung sich für den Einlass zu legitimieren. Vorm Einlass herrscht noch reges Treiben. Da ich nicht den Kriterien des Knirpsometers (Freier Eintritt für Kinder unter 111 cm) entspreche, reihe ich mich in die Schlange Zutrittssuchender ein und gelange nach kurzer Zeit auf die Festwiese. Dort haben sich bereits Tausende zum großen Picknick versammelt. Ein Gros an Leckereien ist aufgetischt und mit einem Glas Sekt wird der Abend eingeläutet. Nach der offiziellen Begrüßung durch Herrn Böhlmann, den Mann mit dem Zylinder, strömen die Massen auch schon auf das Gelände. Der hochgewachsene Kammerdiener Eugén ragt aus der Menge. Er begleitet Ihre Majestät Prinzessin Amalie von Barocko, welche sich die Errungenschaften unseres Zeitalters betrachten will. Waghalsige Paparazzimethoden sind vergessen, heute bittet man die Hoheiten um eine Fotosession, welcher man nicht abgeneigt ist. Der Sportlichkeit, die so manch interessante Fotoperspektive erfordert, zollt Eure Hoheit Respekt. Sportlich unterwegs ist auch das Scharniertheatertrio Vera, Frieda und Fred. Konditions- und Ausdauertraining a la Nordic Walking steht auf ihrem Fitnessplan. Wer mithalten kann und sogleich den Kalorien des reichhaltigen Picknickes an den Kragen will, möge sich anschließen. Außer Kontrolle und ohne Erziehungsberechtigte unterwegs, sind die beiden kleinen Senza Denti in ihren Buggies. Sie treiben Schabernack mit den Gästen und verschaffen sich hier und da eine kleine Zwischenmahlzeit. Unsere Weintrauben haben es ihnen auch angetan.
Ich schlendere über die Wege und finde eine Nische, in der gerade Andrea Bongers und Katie Freudenschuß über das Phänomen Schuhe und Frauen philosophieren. Die Macht von Schuhgeschäften, die Anziehungskraft von sexy High Heels, welche doch so gut zum neuen Outfit passen. Hierzu der Verstand – der Schuhschrank ist so voll, man braucht keine neuen Schuhe und sie sind kostenintensiv. Aber wozu hat man den inneren Schweinehund. Diese kleine teuflische innere Stimme die Wunschbilder projiziert und so überzeugend ist. Was bedeutet schon teuer, wenn man in den Schuhen einfach verboten toll aussieht, sich endlich als Frau fühlen kann, die Männer beeindruckt und heiratet. Mmh! Ich glaub ich sollte dringend einmal wieder Schuhe shoppen gehen.
Unter den Bäumen entdecke ich die farbenprächtige Libelle „Ssssibelle“ und „Mantis“, die Gottesanbeterin der Art Tremondo. Elfe „Nigella“ versucht sich bei den beiden gerade in der Insektendressur. Ich folge den leisen Harfentönen in der Ferne. La Primavera, entführen die Besucher in eine Welt aus zarten Klängen. Andere wiederum lassen sich von Madame Pappidu eine ihrer wundervollen Masken anfertigen. Sie zaubert aus allerlei Materialien originelle Unikate und lässt deren Träger als ein Teil des Kleinen Festes erscheinen. Mit Magie bezaubert auch Desimo sein Publikum. Mit viel Wortwitz gespickt ist die Show von Emmi und Willnowsky. Ihr Eheleben und der alltägliche Wahnsinn sorgen für Kurzweil. So stellt Emmi ganz trocken fest, das doch Schokolade besser sei als Leidenschaft und Sex. Die befriedige selbst wenn sie weich sei, und schreie nicht wenn man in die Nüsse beißt.
Einen weiteren Zwischenstopp lege ich bei Tempei ein. Er jongliert gekonnt seine Diabolos, Keulen und Sticks. Mit Schnelligkeit und Perfektion zieht er das Publikum in seinen Bann. Auch die beiden Japaner Daiki und Cheecky versetzen die Zuschauer in Staunen, wenn sie auf dem Einrad perfekte Akrobatik mit Clownerie und Jonglage verbinden. Die beiden Clowns Jaume und Mamen, kommunizieren stumm. Sie erzählen die Geschichte vom Karussell des Lebens, den zwischenmenschlichen Beziehungen, von Liebe, Treue und Zärtlichkeit. Alles was einen Anfang hat, endet auch – irgendwann – und doch geht das Leben weiter – irgendwie. Tränen trocknen und ein anderes Lächeln versetzt Berge. Sie lassen uns teilhaben an den ersten verstohlenen Blicken, dem ersten schüchternen Kuss, den Schmetterlingen im Bauch. Die vielen ausgezupften Gänseblümchen und das alte Spiel von „Er liebt mich, er liebt mich nicht“. Wie es sich anfühlt, wenn die Zuneigung in Worte gefasst wird, man einfach nur noch schwebt und einfach tanzen möchte – und das tun sie. Erst zusammen, dann mit dem Publikum, gemeinsam, mittendrin, keiner ist allein. Sie erinnern uns genau an diese Gefühle – vergangen oder Gegenwart.
Es zieht mich weiter. Noch einmal begegne ich der kleinen Fee Nigella. Ihr unsichtbares Irrlicht Howard ist wieder ausgebüxt und nun versucht sie es mit Hilfe der Besucher wieder einzufangen. Ebenfalls übermütig scheinen die beiden zahnlosen Racker. Statt der Fütterung mit Babybrei und Fläschen, erwischen wir sie beim Bier trinken. Ob Alkohol schuld am Autounfall des alternden Rockstars Sir Bones war, bleibt Spekulation. Zumindest scheut er nicht die Öffentlichkeit und lässt sich mit Gipsbein und Rolli von seinen beiden unauffälligen Securitys über das Gelände chauffieren. Phantasievoll und farbenprächtig wandeln die fledermausartigen Colori auf ihren Stelzen durch den Garten. Phantastisch auch die Abenteuer aus den Tiefen des Ozeanes. Aber Vorsicht! So manch einer wurde von den Geschichten der beiden silbernen Schnorchler und den Untiefen des Meeres mitgerissen. Dass die Unterwasserwelt nicht nur schön, sondern auch gefährlich ist, zeigen die Medusen. Verführerisch, sinnlich, betörend, unvergleichlich schön und doch verbrennt man sich an ihnen nicht nur die Finger.
Ein Mönch erregt meine Aufmerksamkeit. Er demonstriert die Leichtigkeit des Seins. Er schwebt über dem Boden – ohne sichtbare Anstrengung. Es wird gerätselt, gibt es einen Trick? Fragen über Fragen. Ist es Magie oder reinste Körperbeherrschung? Seinen Körper und die Blockflöten beherrscht auch der charmante Gabor Vosteen. Kecke Mimik und explodierte Frisur zeichnen ihn aus. Während er bis zu fünf Blockflöten gleichzeitig die virtuosesten Flötentöne entlockt, flirtet er munter mit den weiblichen Wesen vor der Bühne. Die Dämmerung erobert den Abend. Auf dem Weg zum Finale läuft mir Frans doch noch über den Weg. Ein Kleines Fest ohne Frans wäre nicht vollkommen. Man sucht ihn, hält Ausschau, in den Nischen, auf den Wegen. Mit seiner schüchternen Mimik und Gestik gewinnt er im Flug alle Herzen. So manch Leckerei bringt man ihm mit. Die dargereichten Kekse lässt er sich auch sogleich schmecken. Seine Gurken, ganze acht Stück, hat er heute bereits gegessen.
Das Finale naht. Mit dem Dank an alle fleißigen Helfer, den Sponsoren und den Akteuren sowie an das Publikum verabschiedet sich Herr Böhlmann und gibt den Startschuss zum Höhepunkt des Abends, dem aufwändigen Feuerwerk. Einzelne Darsteller lassen es sich nicht nehmen, sich am Ausgang noch einmal persönlich zu verabschieden. Doch es gibt garantiert ein Wiedersehen. Vielleicht schon im kommenden Jahr, bei einer weiteren Auflage des Kleinen Festes.