Kunstausstellungen „frau/objekt“ & „fake titel“
Von Punk, Kunst und nackten Tatsachen in Hannover
26.06.2013 [sh] Ein gestählter, glänzender Frauenkörper, die Brustwarzen durch perfekt grinsende Münder ersetzt und statt eines Kopfes prangt ein Bügeleisen. Dieses Artwort sorgte bereits als Cover für die Single „Orgasm Addict“ von den Buzzcocks für Furore. Nun ziert die Collage die Kestnergesellschaft und fängt die Blicke der Passanten ein – immer wieder. Es provoziert und hat mich umso neugieriger auf die derzeit laufende Ausstellung „frau/objekt“ von Linder Sterling gemacht. 1954 in Liverpool als Linda Mulvey geboren, gehört „Linder“ zu den Protagonistinnen des britischen Punk der späten 1970er Jahre. Ausdruck erhält ihr Wirken durch Kunst, Musik, Mode und Tanz und findet sich wieder in den Bereichen der Fotografie, in erstellten Collagen und Videos. Den noch immer weit verbreiteten Blick auf die Frau als perfekte Mutter, unterwürfige Ehefrau oder Sexobjekt stellt sie auf unverblümte, provokante Weise dar.
Keine Zeitschrift ist vor ihr und ihrem Skalpell sicher. Ob Einrichtungskatalog, Pornoheft oder Frauenzeitschrift. Alles findet Verwendung, um gegen die teils noch vorherrschende und kulturell verwurzelte Geschlechtervorstellung und den daraus resultierenden Männerfantasien von der idealisierten Frau vorzugehen. Ein Frauenbild, welches durch die Werbung und Hochglanzmagazine geschürt wird. Doch wer kann diesem Bild entsprechen?
Die Kestnergesellschaft gibt dieser Ausstellung einen angemessenen Raum. Helle Vorhänge schützen vor dem direkten Blick in die Räume. Einmal eingetreten, geben die Collagen tiefe Einblicke frei. Per „cut and paste“ entsteht Linder´s Kunst, der sexualisierte weibliche Körper als Konsumgut in einem häuslichen Ambiente. Durch überdimensionierte Tortenstücke, Pralinen oder Haushaltsgeräte, welche meist den Kopf und das Geschlecht verdecken, wird der Blick für Details geschärft und das einstige Original erhält eine andere Bedeutung. Das Objekt, die Frau, die Frau als Objekt, reduziert auf ihre Körperlichkeit. Die Erwartungen gleichermaßen Sexgöttin wie auch Hausfrau zu sein. Beleuchtete Schaukästen in einer schwarzen Kammer zeigen die jüngsten Arbeiten der Künstlerin, im Hintergrund dokumentiert ein Video den berühmt gewordenen Auftritt der Band Ludus 1982 im Haçienda-Club in Manchester. Bereits Jahrzehnte früher als Lady Gaga, schockierte Frontfrau Linder in einem Kleid aus Geflügelfleischresten und einen umgeschnallten Dildo.
Eine Etage höher präsentiert die New Yorkerin Rachel Harrison ihre Zeichnungen und Skulpturen „fake titel“. Gefundene Gegenstände, unter anderem Haushaltsgeräte, kombiniert sie mit eigens gefertigten Skulpturen. Auch die Deutsche Geschichte sowie der untergehende Sozialismus finden Platz in ihrer Arbeit. Wie aus einem Massenartikel ein Unikat wird, verdeutlicht die Fotoserie „Sunset Series“. Die Wahrnehmung eines Motives verändert sich, dies kann nicht nur abhängig vom Betrachter sein. Auch Faktoren wie Gefühlszustand und Lichtstimmung spielen eine Rolle.
Interessierte können noch bis 4. August 2013 beide Ausstellungen in Augenschein nehmen.