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Die Urväter des Hardrocks bespielen die kleinste Bühne ihrer Karriere

Von musikalischen Perlen, gelebter Leidenschaft und der Zigarette danach

26.10.2015 [ft] Denke ich an Nazareth, höre ich automatisch eine durchdringende Stimme, welche mir die eiskalte Wahrheit zwischenmenschlicher Kontakte ins Ohr säuselt – nämlich „Love Hurts“. Erinnerungen werden wach, an präpubertäre Engtanzpartys, auf denen ich natürlich nicht mit dem Boy meiner Wahl, sondern viel mehr mit meiner besten Freundin das Engtanzen übte.

Aber erstmal von Anfang an…

Nazareth zählen zu den Urvätern des Hardrock. Ich freue mich auf einen spannenden Abend, bin jedoch auch skeptisch. Schließlich ist seit der Gründung1968 schon ein wenig Zeit vergangen und bekanntlich hält sich nicht alles so lange frisch! Werden Nazareth mitreißen und überzeugen können? Mit diesem Gedanken begebe ich mich auf den Weg.

Das nur mäßig gefüllte Lux stimmt ein wenig wehmütig. Dies ist jedoch wahrscheinlich auch dem zu schulden, dass in direkter Nachbarschaft ebenfalls eine Band des härteren Musikgenres ihr Können zum Besten gibt. Bei so viel Angebot, muss sich der Hannoveraner Musikfan entscheiden.

Auf der kleinen Bühne hingegen begrüßt Luke Gasser die Anwesenden. Wer ist das, werden sich jetzt einige Fragen und das fragte ich mich natürlich auch! Luke Gasser? Kenne ich nicht! Ich gehöre ja – und das gebe ich zu (Asche auf mein Haupt) – zu den Typen der Konzertbesucher, die die Spielzeit der Vorbands gerne mit einem kühlen Blonden in der Hand vor der Konzertlocation verbringen. Schließlich finden die besten Partys doch in der Küche statt oder eben vor der Konzerthalle. Und ja, ich fühle mich jedes Mal sehr schlecht, da ich damit den meist ziemlich guten Musikern mit wenig Respekt entgegen trete. Durch dieses Verhalten lassen wir uns nicht nur den bezahlten und dadurch längeren Musikgenuss, sondern auch die eine oder andere musikalische Perle entgehen. Schließlich hat nicht jede Band das Glück, mit den Headlinern im Nightliner mitzureisen und auch noch fürs musizieren bezahlt zu werden. Häufig reisen sie in kleinen Wohnmobilen – ohne Fahrer – und geben für ihren großen Traum ein kleines Vermögen aus. So lasse ich mich heute gern vom Neuem überraschen und überraschend sind Luke Gasser, die Band um den Frontmann, der auch mit seinem Namen Pate für das Trio steht. Ein kurzer Blick ins World Wide Web eröffnet mir, dass der Schweizer Sänger und Gitarrist ein Tausendsassa ist. Tätig als Filmemacher mit einigen internationalen Auszeichnungen, Autor, Musiker, freischaffender Künstler, Bildhauer und eben auch als leidenschaftlicher, charismatischer Musiker! Luke Gasser machen Spaß und definitiv Lust auf mehr. Sie heizen ein, heizen auf und sind absolut hörbar. Ihre Songs sind rollender, schnörkelloser Rock. Lässig und einfach nur flirty, so wie guter Rock ‚n‘ Roll sein muss. Die drei Herren präsentieren ihren klassischen Sound souverän und mit viel Humor. Ich bin von ihnen angezündet. Lasst diese Band mehr spielen, ladet sie auf ein Bier ein, nennen sie ihr Kind `Luke Gasser`! Wie ihr seht liebe Leser, bin ich begeistert. Nachdem die Schweizer ihr Set beendet haben, verspüre ich den großen Drang ‚eine zu rauchen‘- die Zigarette danach. Das schaffen nicht viele Bands! Respekt meine Herren!

Dann ist die Zeit reif für Nazareth. Ich denke, ich kenne doch nur diesen einen markanten Song und später fällt mir beim Genuss der Musik auf – falsch gedacht ich kenne sie alle -, aber nicht nur das, ich kann alle mitsingen! An dieser Stelle muss ich dann wohl meinen Eltern für ihren hervorragenden Musikgeschmack danken, schließlich hat sich ihr Musikgenuss meiner frühen Kindheit so prägnant in meinem Gehör verewigt.

Mit 60 Mio. verkauften Platten ist Nazareth eine der größten schottischen Bands weltweit. Sie gehören zur ersten Generation des Hard Rocks und waren maßgeblich an dessen Entwicklung, wie auch des späteren Heavy Metal beteiligt. Es gab Zeiten, da kam kein Sampler dieses Musikgenres ohne einen Song von Nazareth aus – völlig zu Recht! Von der ursprünglichen Besetzung ist nur noch Bassist Pete Agnew in der Band, dem man seine 69 Lenze nicht anmerkt. Er wirkt erfahren, geerdet und so herrlich unaufgeregt. Unterstützt wird er von seinem Sohn Lee, der seit nun 17 Jahren das Schlagzeug spielt. Abgerundet wird das Bild von einem in sich ruhendem Jimmy Murrison an der Gitarre und einem markanten, stimmgewaltigen Carl Sentance.

Die Bühne des LUX ist klein und eng. Das merken die vier Herren schnell. Dies tut ihrer Freude am Spiel jedoch keinerlei Abbruch. Ich persönlich bin ja Fan von kleinen Clubs und Clubkonzerten. Die sind so schön intim und nah. Da spürt der Fan Körperwärme und fühlt den Schweiß der Musiker auf einen herabtropfen. Man ist „Face to face“ und ein direkter Dialog zwischen dem Publikum und der Band ist möglich. Bei solch kleinen Locations gibt es wenig Schnickschnack, der Unlust und Müdigkeit überdecken kann und über Unzulänglichkeiten hinweg trickst. Hier zählt nur das Können der Musiker und die Musik!

Nazareth ist wirklich gut. Carl Sentance, der erst in jüngerer Vergangenheit hinzustieß, nachdem sich Gründungsmitglied Dan McCafferty aus gesundheitlichen Gründen zurückziehen musste, ist stimmgewaltig und charismatisch. Die Band strotzt vor Spielleidenschaft und wahrer Passion. Sie sind eine Einheit, spielen tight und wirken trotz routiniertem Spiel frisch und leidenschaftlich. Das Set der „Changing Times“ Tour ist ausgewogen gewählt und der Opener „Bad, Bad Boy“ reißt genauso mit, wie die schon oft gehörten Songs „Morning Dew“, „Dream On“ oder „Love hurts“. Die Musik von Nazareth hat über all die Jahre ihre Anziehungskraft nicht verloren, sie reißt noch immer mit, geht tief.

Der Hannoveraner ist verhalten, das sind sie ja sehr oft. Aber er wippt mit und lässt sich zu Gesang hinreißen und das heißt schon was. Diejenigen, die sich an diesem Montagabend für das Sofa anstatt den Club entschieden haben, haben etwas richtig Gutes verpasst. Selbst schuld, wer sich diese Größen des Hardrock entgehen lässt. Vor allem, wenn man ihnen einmal so richtig nah wie im LUX sein kann. Schließlich führt ihr Weg nach dem Konzert direkt durch das Publikum in den Backstagebereich. Ich fühle mich in diesem Moment durch so viel Bescheidenheit geehrt!

Nazareth zeigen in diesem Club, was richtig gute Musik, die bleibt und an die sich noch Generationen erinnern werden, ausmacht. Große Songs! Songs die außerhalb von Lichtshows, riesigen Bühnen und großem Publikum wirken. Ein guter Song wirkt durch sich selbst und braucht nicht mehr, als eine Handvoll guter Musiker, die ihn mit Leidenschaft und Spielfreude performen.

Ich verneige mich in Ehrfurcht vor diesen Größen des Hardrocks, die so bescheiden sind und verabschiede mich mit dem Gedanken – Love hurts!

Gastredakteurin Florentine Thiér

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