Schwarze Seelen im Märchenwald
Dragensdorf Rockt! 2010
12.06.2010 [red] Was soll man sagen? Nach einem rockigen und sehr warmen Freitag kriechen nach und nach die Festivalbesucher auf dem Zeltplatz aus ihren Höhlen. Verschlafenes Augenreiben während vom Platz her schon Rammstein schallt. Dazu ein Becher Kaffee und die Welt ist in Ordnung. Einige packen schon, um abzureißen. Sie waren nur für den Freitag angereist – Dritte Wahl und Crushing Caspars passen nicht unbedingt in einen Topf mit End of Green, Equilibrium oder Coppelius. Genau aus diesem Grund haben die Veranstalter in diesem Jahr erstmals „separiert“. Keine schlechte Idee, denn gegen Nachmittag rollen wieder Autos an mit Gästen. Dieses Mal hübsch ausstaffiert, dekoriert, geschminkt und zurechtgezuppelt. Aber auch viele der Besucher des ersten Tages sind geblieben. Während eine wilde Gruppe mit Pappschachteln und kleinen Bierfässern zwischen den Zelten bolzt und andere ihren Grill anschmeißen, sind wieder andere verzweifelt auf der Suche nach Zigaretten. Im Hintergrund machen Blackest Dawn gerade ihren Soundcheck, bei dem sie kein Publikum haben wollen, obwohl eigentlich schon längst Einlass wäre. Wir sitzen vor dem Zelt im Gras und amüsieren uns darüber, denn hören kann man den Soundcheck trotzdem. Durchdachte Aktion. Was daran eigentlich stört ist, dass der Zugang zum Merchstand mit den handgemachten Haarspangen und Filzringen versperrt ist. Das Geld muss später ausgegeben werden.
Zwischendurch verkriechen wir uns noch eine Runde im Zelt, der Himmel hat seine Schleusen einen Spalt weit geöffnet und ein leichter Sommerregen ergießt sich über uns. Doch als der zweite Tag Dragensdorf Rockt! mit einem Krachen beginnt, scheint die Sonne. Blackest Dawn haben ihre Scheu vor Publikum scheinbar überwunden und lassen auf der Bühne die Sau raus. Zur Einstimmung eine Portion Metalcore. Zwei Shouter, die springen und rennen, auf die Bühnenkonstruktion klettern und auch sonst eine einzige Party zu feiern scheinen. Die Magdeburger haben das „Glück“ nicht vor einem fast leeren Platz spielen zu müssen, wie die ersten Bands des gestrigen Tages, wo es vielen noch besser erschien auf den Bierbänken zu sitzen und mit dem Festival an sich erst einmal warm zu werden. Der zweite Tag beginnt feierfreudiger. Hier bildet sich gleich eine Traube vor der Bühne. So kann dann auch einen Blick auf das riesige „Amon Amarth“-Tattoo von Sänger Mühle werfen – das ist noch echte Bekenntnis zum Fansein.
Ihnen folgen Path of Destiny. Die Metalband aus Saalfeld geht in die Vollen. Lockt mit ihrer Mischung aus Melodic- und Deathmetal noch mehr Publikum an. Es scheint ein großartiger Tag für die Ohren zu werden. Wie man später auf mySpace nachvollziehen kann, scheint der Sound auch beim Headliner Equilibrium angekommen zu sein. Zumindest haben sie das Album von Path of Destiny beim Gang auf den Lokus gehört – was in dem Fall ein Lob ist! Die Saalfelder um Frontmann Stefan haben – wie Black Magic Six – bereits im letzten Jahr beim Dragensdorf Rockt! gespielt. Sie zählen ebenso zu den Lieblingsbands der Veranstalter. Man mag ihnen Recht geben. Selbst wenn man Metal an sich nicht zu seinen musikalischen Vorlieben zählt, bei Path of Destiny bleibt man stehen.
Nach einer kurzen Umbaupause – und die sind beim Dragensdorf Rockt! wirklich angenehm kurz – wurde man geschockt. Eine Band wie ein Fegefeuer. Vor kurzem erst haben wir Schock in der KuFa Mühlhausen erlebt und man hat das Gefühl, die Band steigert sich von Mal zu Mal. „Ich bin der Gott, der stirbt, wenn man ihn nicht liebt“ – singt Frontmann Micha und schmeißt sich auf den Boden der Bühne, windet sich, rappelt sich wieder auf, springt auf die Monitore, reißt die Augen auf, zerrt an seinem Hemd und nimmt die Fans mit in den Abgrund. Das neue Album „Kosmos“ der Schocker erscheint noch in diesem Jahr, man darf gespannt sein. Denn die Appetithäppchen die sie on Stage verteilen, lassen einem das Wasser im Munde zusammenlaufen. Nach den Düsterrockern kommt wieder etwas (Death)Metal ins Spiel. Die Bayern von Akrea schwatzen sich in Mundart durchs Programm und rocken den Rest. Doch eigentlich wird auf den nächsten Act gewartet. Ein Paravent, ein altes Radio, ein Butler und ein Staubwedel. Der gute Ton kehrt am Waldesrand ein. Glückselige Hysterie. Lieder von gescheiterten Operationen, dem Leid eines Butlers, dazu ein exzellentes Schauspiel und wunderbares Make Up – Coppelius geben sich die Ehre. Was mit dem Erscheinen des gar nicht stummen Butlers so bedrohlich ruhig beginnt, explodiert mit Klarinette, Cello, Kontrabass und Schlagzeug zu einem einzigen Wirbelsturm morbidem Singsangs. Herrlich. Da ist er dann auch, dieser Augenblick, in dem man sich wünscht, der Auftritt würde niemals enden. Coppelius hilft. Man sollte es glauben!
Wenn man die Augen schließt und nur dem Sound lauscht, keinen Blick zur Bühne wagt, dann glaubt man Placebo stünden dort. Schwermütige Balladen. Tiefschwarze Rocknummer. End of Green klingen international. Können locker mit Bands wie eben Placebo mithalten. Die Gothic-Rocker aus „Sickcity“ (zu schön) beschreiben sich selbst sehr treffend als einen schwarzen Berg oder das Licht am Ende des Tunnels – es kommt ganz auf die Sichtweise an. Ins richtige Licht getaucht wirken die fünf Musiker wie Hünen, umhüllt von Düsternis und einem Hauch Grün. Always remember: music that doesn‘t touch you is a waste of time. Im Fall der Grünen ist es definitiv keine Zeitverschwendung. Und sie läuten (leider) das Ende des Festivals ein, denn nach ihnen kommt „nur noch“ Equilibrium. Mit melodischem Metal geht das Dragensdorf Rockt! in die Endrunde und der neue Frontmann Robert ‘Robse’ Dahn (Vrankenvorde) schreit dann auch gleich nach einer Wall of Death. Spielfreudig sind sie. Kein Zweifel. Man muss sich erst einmal orientieren und einige der Besucher waren im Vorfeld schon gespannt, wie sich die Bayern auf der Bühne präsentieren würden. Nach gravierenden Umstrukturierungen innerhalb der Band sind sie mit neuem Schlagzeuger und neuem Sänger wieder komplett. Man hat aber nicht den Eindruck, als ob die Neuen sich noch einleben müssten. Die Chemie scheint zu stimmen. Der von der Band kolportierte Epic Metal lässt die Meute vor der Bühne noch einmal springen, tanzen und johlen. Dann fällt der Vorhang.
Mit einer winzigen Armee von 25 Mann wird das Dragensdorf Rockt! gestemmt. Hoffentlich auch wieder im nächsten Jahr. Da wird ein Festival auf die Beine gestellt mit Bands, nach denen sich andere die Finger lecken, in einer himmlischen Umgebung und ohne Hektik. Diese Perle unter den „Underground“-Events sollte man sich wirklich merken und – wenn man in diesem Jahr noch nicht dabei war – auf den Plan für den kommenden Sommer schreiben. Sofern es fortgesetzt wird. Ein durchweg musikalisch hohes Niveau, eine klasse Organisation. Was noch fehlt ist die Bekanntheit. Verdammt noch eins, so ein Festival kann doch nicht in der Versenkung verschwinden. Es wäre viel zu schade darum.