Wave-Gotik-Treffen 2010: Schwarz ist das neue Bunt
Die Tage sind gezählt….
24.05.2010 [cb/sh] … das kann natürlich so einiges bedeuten. Die Lebensmittel- und Kleidungsgeschäfte ordern zusätzlichen Bedarf, die Zimmervermieter und Hoteliers sind im Stress, Restaurants haben besondere Karten, die Verkehrsgesellschaft plant Sonderschichten und all das, weil Leipzig eine dunkle Wolke droht. Am Pfingstwochenende fand in Leipzig das 19. Wave- Gotik- Treffen (WGT) statt. Dieses ist für viele Anhänger der schwarzen Szene DER jährliche Höhepunkt. Zum WGT reisen alljährlich ca. 20.000 Anhänger des „buntgemischten“ Völkchens aus zahlreichen Ländern an und färben die Stadt schwarz. Die Leipziger haben sich damit arrangiert – wenn sie das Ganze nicht sogar als willkommene Abwechslung betrachten.
Das Haupt-Festivalgelände befindet sich am AGRA- Messepark – dem ehemaligen Messe- und Veranstaltungsgelände der Landwirtschaftsausstellung in Markkleeberg. Hier befindet sich auch der Zeltplatz. Viele Besucher behaupten: „Zum WGT muss man einfach zelten, das gehört dazu“. Das Wetter – sonnig, aber nicht heiß – war für das WGT mal wieder wie geschaffen und auch die Regenschauer konnten der guten Stimmung keinen Abbruch tun. Im heidnischen Dorf haben einige Besucher auf Grund des schnell durchweichten Bodens zeitweise darüber nachgedacht, ob sie eine Schlammschlacht veranstalten sollten, jedoch dann aber davon Abstand genommen. Wäre das nicht ein interessanter Gedanke für das nächste Jahr? Wie wäre es mit entsprechend aufgestellten Duschen?
Der Fußweg vor den Hallen wird von vielen in diesen Tagen nur scherzhaft die Flaniermeile oder auch der Catwalk genannt. Und wer einmal dabei war, weiß auch warum. Klar ist es auch ein ganz normaler Fußweg. Aber das auch zum WGT übliche „sehen und gesehen werden“ findet hier einen seiner Höhepunkte.
Es ist schon faszinierend anzusehen, welche Mühe aufgebracht wird in diesen Tagen. Sehr viele Fotografen finden sich dort bzw. vor dem Gelände regelmäßig ein. Aber auch viele „normale“ Besucher sitzen gern unter den Bäumen an der AGRA und genießen das durchaus bunte Treiben. Es gibt so einiges zu sehen, unter anderem viktorianische-, Barock- und Rokoko- Gewänder, Steampunks, Cyber Goths, Uniformen aber auch erotische, Phantasie- und mittelalterliche Bekleidung. Wobei die Mittelalter-Anhänger sich vor allem auf dem heidnischen Dorf am Torhaus Dölitz zusammenfinden. Das heidnische Dorf war, wie auch in den letzten Jahren, gut besucht und es bildeten sich vor dem Eingang zum Teil lange Schlangen. Auch viele Nichtfestivalbesucher nutzten die Gelegenheit und verschafften sich gegen Abgabe einiger Silberlinge Zugang. Der Clara-Zetkin Park lud auch dieses Jahr wieder zum Schauen, Verweilen und dem etwas anderen Picknick ein. In aufwändigen viktorianischen Gewändern präsentierten sich hier die Damen und Herren und zogen nicht nur die Szenefotografen an.
Bereits seit Donnerstagabend liefen im gesamten Stadtgebiet viele Veranstaltungen. Die offizielle Eröffnung des WGT jedoch fand am Freitag den 21.05.2010 durch die norwegische Band Zeromancer in der großen AGRA-Veranstaltungshalle statt. Zeromancer waren zum dritten Mal dabei. Unter dem selbst gewählten Motto „Sex, Drugs and Technology“ zogen sie ihr Publikum schnell in Ihren Bann. Und spätestens als der Sänger Alex Möklebust beim vierten Lied sein Hemd auszog, stiegen die Temperaturen. Das Werk II lockte am Abend noch mit den Auftritten von Eisheilig und Die Untoten. Musikalisch wurde hierbei verschiedenes Publikum angesprochen, was zwischen den Konzerten zum kompletten Austausch führte. Visuell waren letztere bei weitem im Vorteil. Im heißen Dessousoutfit und High Heels eroberte die deutsch-ungarische Sängerin und Malerin Greta Ida Csatlos die Bühne und auch die Zuschauer. Das Musikangebot des Kohlrabizirkuses stand am Samstag im Zeichen des Metal. Während Ashes you Leave und Omega Lithium mit ihren Frontfrauen etwas sanftere Töne anschlugen, ging es dann zu späterer Stunde mit den Finnen von Poisonblack und der portugisischen Band Moonspell hart her. Eine Schonung der Instrumente, Boxen und Gehörgänge war nicht vorgesehen. So rockte das Volk vor der Bühne und ließ sich von der Bühnenperformance mitreißen.
Elektronisch wurde es am Sonntag auf der Parkbühne. Cephalgy und S.I.T.D. fanden unsere Aufmerksamkeit. Die Ränge füllten sich rasch und es war schwer noch einen Platz zu finden. Aber warum nicht die Musik einfach aus dem Clara-Zetkin Park genießen? Gesagt, getan. So erfreute man sich an der musikalischen Untermalung und ging währenddessen auf Fotomotivjagd. Während sich am Abend die Tore der Kuppelhalle des Volkspalastes zur Fetisch Party „Obsession Bizzarre“ öffneten, erfreuten wir uns an dem herrlichen Ausblick auf das beleuchtete Völkerschlachtdenkmal und dem beeindruckenden Feuerwerk. Welle:Erdball aus dem deutschsprachigen Minimal-Electro- und Electropop-Umfeld schlossen dann den Abend. Bereits vor dem Eingang bildeten sich lange Besucherschlangen. Welle:Erdball überzeugten mit ihrer gut durchdachten Bühnenshow, welche durch kalte Neonröhren, ausdruckslose und blass geschminkte Gesichter, runde Sonnenbrillengläser und Pomade in den Haaren bestimmt wurde. Mit Schattenspielen wurde das Publikum begrüßt und mit riesigen Luftballons bedankte sich die Band am Ende des Abends. Zeraphine auf der Parkbühne standen am Montag im Mittelpunkt. Nicht nur musikalisch auch optisch immer ein Augenschmaus. Sven Friedrichs Texte regen zum Nachdenken an und erzeugen teilweise Gänsehaut. Da spielt es auch keine Rolle wenn die Technik nicht ganz so mitspielte. Der guten Stimmung tat es jedenfalls keinen Abbruch.
Insgesamt war das Angebot des WGT auch in diesem Jahr sehr vielfältig. Auf dem ausgegebenen Übersichtsplan waren 43 verschiedene Spiel- und Veranstaltungsstätten zu finden. Hierbei ging es nicht nur um Konzerte, auch verschiedene kulturelle Veranstaltungen wurden angeboten. Zum Beispiel berechtigte das obligatorische Festivalbändchen zum freien Eintritt ins Museum der bildenden Künste in Leipzig, in dem derzeit eine Ausstellung von Neo Rauch stattfindet. Aber auch die Vorstellungen im Opernhaus wurden sehr gut besucht. Fazit dieses Pfingstwochenendes: Es war wieder ein großes Familientreffen der besonderen Art. Die Begegnungen mit Freunden aus der ganzen Welt, das friedliche Beisammensein und die gegenseitige Toleranz der Leipziger und ihrer Besucher sind einfach überwältigend. Wir freuen uns alle auf das nächste Jahr, wenn sich ältere Damen in Straßenbahnen an düster aussehende Gothics mit den Worten wenden: „Ich hake mich mal ein, ich bin nämlich nicht mehr so standfest!“