Das verheißene Glück
Wirtz spielt mit Deiner Cousine auf seiner „Die fünfte Dimension“-Tour im ausverkauften Stadtgarten
01.12.2018 [dg] Er müsse sich Sachen vom Herzen schreiben, bevor es Krebs wird. Das hat Daniel Wirtz einmal in einem Interview gesagt (Quelle: Neue Presse ) und fasst damit wunderbar sein Schaffen als Künstler zusammen: ehrlich und kompromisslos. Ohne Zwänge und Druck eines großen Labels arbeitet er sich als Wirtz seit 2007 durch seine Gedanken und die Musiklandschaft, hinterlässt tausendfach begeisterte und überzeugte Fans. Menschen, die ehrlichen und kraftvollen Rock mögen, dessen Texte auch mal über die Schmerzgrenze hinausgehen. Kein Mainstream, sondern eine Perle inmitten der vielen deutschsprachigen Künstler, deren Plattidtüden man in einem Song zusammenfassen könnte und nichts wäre gesagt. Wirtz ist anders und das macht seinen Erfolg aus. Das konnte am Samstagabend schon vor den Toren des Stadtgartens sehen. Die Schlange der Wartenden reichte einmal rundherum. Und mehr als ein verwunderter Erfurter fragte im Vorbeigehen, wer denn das Besonderes spiele. Als Antwort ertönte immer wieder ein Chor: „Wirtz!“ Muss man den kennen? Nach dem gestrigen Abend kann ich ohne Umschweife antworten: „Ja!“
Selten erlebt man einen Abend, der einen solchen Eindruck hinterlässt. Angefangen bei der langen Schlange am Einlass über den aus allen Nähten platzenden Saal im Inneren des Stadtgartens, die wirklich geniale Vorband und der grandiose, beeindruckende Wirtz. Den Abend eröffneten Deine Cousine aus Hamburg. Frischer, unverbrauchter Rock mit einer äußerst quirligen Frontfrau namens Ina Bredehorn, die den Vergleich mit Jennifer Rostock vielleicht schon oft gehört hat, vielleicht bin ich aber auch die erste die den bringt. Sie geht stark nach vorne, nimmt das Publikum vom ersten Song an für sich ein und lässt es nicht zu, dass die Menge im Saal nicht begeistert ist. Dazu bringt sie mit ihrer Band eine der besten Coverversionen von „Alles aus Liebe“ (Die Toten Hosen) auf die Bühne, die ich jemals gehört habe. Mit Mundharmonika sorgt sie für Gänsehaut, um kurz darauf mit „Kiez oder Kinder“ wieder wie aufgezogen über die Bühne zu springen. Ina stand bereits mit Udo Lindenberg auf der Bühne, wirkt unglaublich selbstsicher und spielfreudig und dabei irre frisch, als entdecke sie den Spaß an der Bühne jeden Abend neu. Nach dem letzten Song „St. Pauli“, den sie ihrer Heimat widmete, war der Saal auf zart geschätzte 80° aufgeheizt. Das Publikum war von Anfang bis Ende dabei und gab lange und dankbar Applaus. Nach einer kurzen Umbaupause tauchten die rund 1.100 Fans mit Wirtz in die fünfte Dimension ein. Ich weiß nicht wie es anderen Konzertbesuchern geht, aber für mich gehört ein Intro dazu – das hat etwas sphärisches und magisches und führt mit Gänsehaut zum ersten Song – das sind Gefühle, die einem nur ein Konzert geben kann. Bei Wirtz hat es geklappt. Mit dem titelgebenden Song stieg die Band kraftvoll ins das Konzert ein, um mit „Wer wir waren“ gleich wieder nachdenklicher zu werden und Tempo rauszunehmen. Und im Publikum sah man so, so viele Menschen, die den Text mit geschlossenen Augen mitsangen. Berührende Texte, die man live noch besser verstehen mag als auf Platte, weil das Gefühl so viel mehr mitschwingt. Mein persönliches Highlight des Abends kam in der ersten Hälfte des Sets zum Klingen: „Das verheißene Glück“, ein Song der traurig und unendlich wahr scheint, gerade in einer Zeit, in der sich unsere Gesellschaft in einem Umbruch befindet, den man im Spiegel der Vergangenheit schon einmal sah. Ein Song, der schmerzt, der berührt und der unsagbar wichtig ist.
„Dass Freiheit nicht Gabe des Himmels ist, sondern dass man sie mühsam selbst erzeugen muss. Doch irgendwann fanden die Stimmen Gehör, die sagten Freiheit von damals sei heut keine mehr. Sie sprachen von Aufbruch und von Neubeginn und hatten ganz anderes dabei im Sinn…“
Es braucht mehr Künstler wie Wirtz, die schreiben und in die Welt hinaustragen, was wirklich wichtig ist. Was zählt. Was berührt. Was schmerzt. Was das Leben lebenswert und gleichzeitig scheiße macht. Es braucht mehr Abende wie diese, bei denen mit vielen Zeilen Gänsehaut vermittelt wird. Bei denen man die Augen schließen und sich treiben lassen kann. Und bei denen man im nächsten Moment begeistert aufstampfen kann. Es braucht viel öfter eine fünfte Dimension.
Die Setlist vom 01. Dezember 2018 | Stadtgarten Erfurt:
- Die fünfte Dimension
- Wer wir waren
- Der lange Weg
- Sag es
- Das verheißene Glück
- Seelen
- Entdeckung der Langsamkeit
- Gib mich nicht auf
- Ich bleibe hier
- Weil ich dich mag
- Auf die Plätze
- LMAA
- Aus Versehen
- Wir
- Meilenweit
- Leb wohl
- Bilder von damals
- Frei