Wolfszeit 2010 – Ihr Wölfe, erhebt euch!
Korpiklaani mit Special Headliner Show und Shining am Ende des Weges
09.09.2010 [db] Je näher man dem Wolfszeit rückt, desto weiter entfernt man sich von der Zivilisation. Alles wird kleiner – von Schleiz raus nach Crispendorf und ab ins Grüne. Immer mehr in Richtung Wald. Bis der Weg schließlich in einem schmalen Pfad mündet, auf dem am Freitagnachmittag die Autos in einer riesigen Kolonne stehen. Stoßstange an Stoßstange. Wir werden die ersten Bands verpassen, denn hier bewegt sich erst einmal nichts. Selbst der Rettungswagen mit eingeschaltetem Blaulicht steckt vorerst fest. Wer läuft ist schneller. Was tun? Smalltalk! Hier wimmelt es vor Metalheads. Hier wimmelt es vor Dialekten. Und an Gesprächsstoff soll es während der Wartezeit auch nicht mangeln. Am Ende des Weges beginnt ein Wahnsinniger Organspendeausweise zu verteilen, die lagen noch im Auto rum. Wirklich an den Mann bringen kann er sie aber nicht. Die ersten werden dann aber doch ein wenig unruhig, als vom Festivalgelände her eindeutig Metal herüber schallt. Es wird munter darüber philosophiert, wen man denn nun verpasst. Einige sind extra wegen der „XIV Dark Centuries“ gekommen und hoffen, dass die Band auch noch irgendwo im Stau steht. Stehen sie nicht, wie mir Roman von den Centuries hinterher verraten wird. Wir kommen gerade auf dem Gelände an, als die Thüringer Paganmetaler spielen. Nach dem ersten Eindruck von der Bühne, ist es Zeit sich hier erst einmal zu orientieren.
Das erste Erlebnis haben wir mit Narhemoth, dem Sänger der nicht unumstrittenen Blackmetal Band „Heimdalls Wacht“. Kaum ist er auf der Bühne, feuert er seinen Mikrofonständer in die Fotografentraube, die sich vor der Bühne gebildet hat. Fein, dafür verspielt sich die Band komplett bei der Zugabe und der Rest geht unter in Schall und Rauch. Kein Skandal. Obwohl man sich die Band im Line Up nun wirklich hätte sparen können. Um Gerüchte über rechtsradikale Tendenzen von vornherein zu zerstreuen, hat Veranstalter Philipp Seiler eine Sicherheitstruppe mit wohlklingendem Namen engagiert. Die „Good Night White Pride“-Security ist überall präsent – Punks mit bunten Iros und sehr plakativem Shirtaufdruck rücken das Wolfszeit politisch ins korrekte Licht. Es wird auch nichts passieren auf dem Festival – kein Skandal, nichts worüber man sich das Maul zerfetzen könnte – mal abgesehen von Niklas Kvarforth, der in meiner Gunst immer mehr abnimmt. Am Einlass checkt die Crew jeden Aufnäher und jedes T-Shirt. Vor Beginn des Wolfszeit gab es im Internet eine Liste mit Bandnamen, von denen man keinen Schriftzug sehen wollte. Bis auf ein, zwei Leute, die durch das Netz geschlüpft sind, hat auch diese Kontrolle funktioniert. Doch zurück zu den Bands: Mit „Menhir“ geht eine Band an den Start, die vom Namen her, vom Sound her und von der Show her zum Wolfszeit passt. Zwar sorgt der lange Soundcheck für ein wenig Unruhe um Publikum, doch der astreine Auftritt der Thüringer Pagancombo entschädigt. Highlight des Eröffnungstages sind eindeutig „Ragnarok“. Schön zu sehen, dass ich nicht die Einzige bin, die am Anfang meint Ørjan „Ulvhedin Høst“ Stedjeberg da zu sehen. Ganz daneben liege ich mit meiner Vermutung nicht, denn von 2001-2007 war er Sänger bei Ragnarok. Und sein Nachfolger Nikolay Fridtjof Dahr hat sich einiges von seinem Landsmann abgeguckt. Da stimmen die Gesten. Da stimmt der Wahnsinn in der Bewegung. Zu einer Götterdämmerung oder satanischen Blutmesse on Stage wird es nicht kommen. Doch krachen lassen es die Norweger allemal.
Auf in den zweiten Tag unter Wölfen. Und schon merkt man, was vielen Festivals immer noch fehlt – die Publikumsbespaßung am Vormittag. Die Metalheads pilgern umher, einige bis ins 20 Kilometer entfernte Schleiz, um dort ihre Vorräte aufzustocken. Der Rest liegt noch im Schlafsack auf dem Zeltplatz oder futtert sich durch die Mittagskarte in der Kantine im Ferienland. Das Ferienland Crispendorf nehmen wir bei der Gelegenheit etwas genauer unter die Lupe. Es kommt einer Zeitreise gleich, sich dorthin zu begeben. Feinste Ostalgie. Ein altes DDR-Ferienlager herübergerettet in die Neuzeit – mit Bimmelbahn und Freibad, Bettenhaus und feinster Aussicht auf Berge und Wald. In der Kantine vertreiben sich die Besucher die Zeit bis zur ersten Band mit Kartenspielen oder Diskussionsrunden über Tarantinos „Pulp Fiction“. Dazwischen die ein oder andere Diskussion über Bildungsstandards in Deutschland und schon ist es soweit. Mit „Thormesis“ hört der Regen auf und der zweite Tag kommt ins Rollen. Es kann einem um die kleinen Bands, die die ersten Plätze der Running Order belegen, schon leidtun. Man schenkt ihnen nicht die Aufmerksamkeit, die sie möglicherweise verdienen. Wobei man das bei „Under That Spell“ gleich wieder revidieren möchte. Wo hat die Band diesen Sänger her? Mit dem Debütalbum „Apotheosis“ im Gepäck schicken sie sich an, das Publikum zu rocken – im Gedächtnis bleibt aber nur der Eindruck eines reichlich verklemmten Sängers, der seinen Platz noch nicht gefunden hat. Üben bitte. „Negator“ aus Hamburg hingegen lassen mich dann doch breit grinsen im Graben. Die machen richtig Spaß. Die Zungenspiele von Frontmann Nachtgarm sind eine Wonne. Die Band kommt herrlich großkotzig daher. Sind sie doch „angetreten, um Werte zu schaffen, gemacht, um unentbehrlich zu sein“. Die gehen gleich von Null auf Hundert, da gibt es kein Warm Up auf der Bühne. Entweder du bist bereit für ihren „Panzer Metal“ – so der Titel des aktuellen Albums – oder du gehst ganz schnell zum Met-Stand und hältst dir die Ohren zu.
Was danach kommt, nennt man gemeinhin ein Heimspiel. Es ist ohnehin unübersehbar, welche Band bei den Besuchern hier ganz weit vorne in der Gunst steht. Es gibt keine Band, die präsenter auf dem Wolfszeit ist als die Wolfshorde „Varg“. Skandale hin oder her. Wenn die rot-schwarz geschminkten Wölfe Freki, Fenrier, Draugr, Managarm und Hati die Bühne entern, dann brennt die Luft. Man kann echt nicht meckern – showtechnisch bietet die Coburger Formation einiges. Der Titelsong des neuen Albums „Blutaar“ kommt druckvoll, bedrohlich und blutrünstig daher. Draußen tobt die Horde und in der Kantine hinter der Bühne, springen die Besucher auf die Bühne geben den Song in ihrer Version zum Besten. Heute will jeder einmal „Blutaar“ schreien. Wer sich bei Varg gut aufgehoben fühlt, der wird die russische Folk Metal-Formation „Arkona“ lieben. Die Töne, die die Sängerin Maria Archipowa aus ihrem kleinen, drahtigen Körper holt, befinden sich jenseits jeglicher Skalen. Zwischen den Klängen von Flöte und Sackpfeife wirbelt sie zu russischen Melodien über die Bühne wie ein Derwisch, singt beinahe sanft, um dann umso derber und markerschütternder zu schreien. Der Wahnsinn. Getoppt wird das Ganze nur noch von „Korpiklaani“, die mit einer Special Headliner Show und verdammt guter Laune überzeugen. Was soll man zum Volk des Waldes eigentlich noch sagen? Die Jungs machen richtig Laune. Wenn es eine Metal-Partyband gibt, dann sind es Korpiklaani. Trinkfreudige Songs am laufenden Band. Mitgrölende Fans und Trinkhörner, die im Publikum reihum gehen. Wenn die Meute vor der Bühne noch anfängt zu schunkeln, wundert mich gar nichts mehr. Der krasse Kontrast folgt auf dem Fuße: die letzte Band des Wolfszeit sind Shining – angeblich in bester Laune. Denkste. Dass Niklas Kvarforth meint, seinen Whiskey über mir und meiner Kamera ausspucken zu müssen ist ebenso vorhersehbar wie unvermeidlich. Aber was kommt danach? Der depressive Black Metal, dem sich die Schweden verpflichtet haben, hat einen nervenden Charakter bekommen. Kvarforth leidet und jammert sich durch sein Set, küsst zwischendurch seinen Gitarristen und würde sich am liebsten die Pulsadern aufschneiden. Immer wieder das Gleiche. Nichts Neues. Der Tod ist tot. Publikumsbeleidigungen inklusive: „Ihr seid alle wertlos.“ Der Sound passt allerdings zur sibirischen Kälte, die aufzieht und das Ende des Wolfszeit 2010 einläutet. Die meisten haben ohnehin schon nach Korpiklaani die Segel gestrichen und den Heimweg angetreten. Shining geben sich nur noch einige. Wir lassen Kvarforth dann auch lieber alleine leiden, den Whiskey-Gestank aus meinen Haaren zu bekommen, ist mir dann doch wichtiger und lieber, als schlotternd einem depressiven Schweden beim vocal suicide zuzusehen. Till next year.
Um das Wolfszeit Festival und Veranstalter Philipp gibt es viel Gerede. Gibt es viel Fake und viel Aufregung. Wir sind an diesem Wochenende unvoreingenommen hingefahren. Mal abgesehen davon, dass es im Internet noch immer viel Gerede darüber gibt, dass sich Philipp Seiler in einem Absurd-T-Shirt fotografieren ließ, es Hass- und Verleumdungsseiten gibt, er von den einen belächelt, von den anderen bewundert und von wieder anderen gehasst wird – das Wolfszeit ist ein Metal Festival. Nicht mehr und nicht weniger. Es hat eine saubere Organisation und viele Besucher, die einfach nur wegen der Musik hinkommen. Es ist eine Bereicherung für die Metalszene. Und dabei sollte man immer im Auge behalten, dass auf dem Wolfszeit 2010 nichts Radikales geschehen ist. Es gab keine Schlägereien, keine Fehltritte oder ähnliches. Es gab Besucher, die gefeiert haben. Es gab Bands, die gespielt haben. Und es gab eine Crew und einen Veranstalter, die für einen reibungslosen Ablauf gesorgt haben. Die Wölfe haben sich ein letztes Mal vor dem Winter erhoben und ruhen nun bis zur nächsten Wolfszeit – und die kommt bestimmt. Denn es wäre schade, wenn ein Festival wie dieses aufgrund politischer Diskussionen und Vermutungen in der Versenkung verschwinden würde. Stellungnahmen gab es genug – ob nun akzeptiert oder belächelt. Eines sollte man allerdings nicht vergessen – das Festival ist nicht ein Mann – das Festival ist Musik.