Schotten, die begeistern und derangierte Schelme
Schelmisch und Saor Patrol im HsD, Erfurt
16.11.2012 [db] Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll. Bei der Vorband? Den trinkfesten Schotten? Oder den Crogs? Der Demontage von Mittelalterbands, die für mich an einem Abend über die Bühne ging. Das Konzert von Schelmisch war für mich der traurige Abgesang auf die visuellen Künste von Mittelalterbands. Wobei das nichts über die musikalischen Fähigkeiten der Band auszusagen vermag. Solider Dudelsack-Rock. Oft gehört. Oft dazu getanzt. Beklatscht und gefeiert. Doch wenn man Mittelalter-Rock hört, dann denkt man an das Heer optisch und musikalisch faszinierender Bands, zu denen ich Schelmisch seit gestern nicht mehr rechnen kann. Die Musik und die Bühnenshow, die das Outfit mit einschließen, müssen stimmen. Denn man lässt sich auf eine Zeitreise ein. Doch beginnen wir bei den Schotten. Das beruhigt mich.
Gegen 21Uhr läuft ein leicht orientierungsloser Charlie Allan an mir vorbei Richtung Bühne. Zu diesem Zeitpunkt ist das HsD sehr mau gefüllt und ich denke mir beim Anblick des Schotten noch: „Du meine Güte!“ – kann ja nicht ahnen, was da auf mich zukommen würde. Denn die Saor Patrol (Freiheitspatrouille) ist ein trinkfester Haufen Schotten, die auf der Bühne mit markigen Sprüchen (wenn man denn den charmanten schottischen Dialekt zu verstehen vermag) und unfassbarer Spiellaune begeistern. Während Allan die Geschichten zu den Stücken erzählt und die Truppe meist für sich selbst lacht, weil keiner versteht, was da gesprochen wird, füllt sich der Saal zusehends und das Publikums ist richtig guter Stimmung. Als Allan „Thank you“ sagt, verstehe ich „Fuck you“ und denke bei seiner anschließenden Verbeugung nur: die Schotten sind ein verdammt höfliches Volk! Bei Saor Patrol wähnt man sich in den schottischen Highlands, wenn sie loslegen. Ein nicht enden wollender Regen aus Trommeln. Kraftvoll. Das ist phänomenal. Das ist phantastisch. An dieser Stelle hätte ich das Konzert abbrechen und den Abend schön sein lassen sollen.
Aber nein. Ich Depp muss natürlich auch Schelmisch sehen und ärgere mich heute noch immer. Schelme sind sie. Frech. Roh. Unterhaltsam. Ihre Lieder machen Laune. Keine Frage. Aber das Mittelalter ist auf der musikalischen Landkarte gut abgedeckt. Und man muss schon ein leckeres Gesamtpaket bilden, um herauszustechen. Und wenn dann ein Schelm namens Dextro seinen Rock mit Hosenträgern und Kuscheltieren und Crogs (meine Güte, Crogs!) kombiniert, dann merke ich, dass ich zu konservativ bin, um die Entschuldigung „man habe die Stiefel vergessen“, durchgehen zu lassen. So recht überspringen will der Funke dann auch zwischen Schelmisch und mir nicht. Bei den anwesenden Fans schon. Klar. Aber ich habe anderes erwartet. In Extremo, Subway to Sally, Saltatio Mortis, Feuerschwanz, Cultus Ferox, Corvus Corax, Faun, Schandmaul – bei all diesen großen Namen im mittelalterlichen Spielmannszug, der alljährlich die Bühnen des Landes stürmt, stimmt alles. Warum zum Geier hatte man denn hier kein zweites Paar Stiefel dabei? Die Schotten hatten neben ihren Kilts und abgerissenen Hemden sicherlich noch ein paar Stiefel im Tourbus. Neben der Braveheart-DVD und dem Glenfeddich. Und es ist ja nun nicht so, dass es in Erfurt keine Schuhgeschäfte gäbe.
„Wir sind fett. Wir sind hässlich. Wir sind asozial. Wir sind Schelmisch.“ – so Dextro zu Beginn des Konzertes. Wenn man sich selbst nicht so ernst nimmt, könnte man von mir eigentlich auch erwarten, über so Schuhdesaster hinwegzusehen. Herrje, ich arbeite dran!