Lesung extraordinaire
Stumpen liest wirklich alles und singt vielleicht
06.10.2009 [db] Heute ist im Alphabet das E dran. E wie R Furt, meint Gero Ivers in seinem Blog. Er werde sich jetzt nicht rasieren und dann nach R Furt fahren. Gero Ivers, besser bekannt als Stumpen – seines Zeichens Sänger der ehemals etwas anderen Boyband Knorkator – macht sich auf, die literarische Landschaft durchzurütteln. Er hat kein Buch geschrieben, dass er auf seiner Lesetour präsentieren könnte. Aber er muss seine Existenz als Stumpen rechtfertigen, also liest er. Alles, was ihm zwischen die Finger kommt. Poesiealben, Bedienungsanleitungen, Zeugnisse, Gedichte, Einkaufszettel. Ein Künstler kann das. Ein Künstler darf das. Und weil Stumpen Künstler ist und Stumpen, darf er das erst recht. Man durfte also an diesem Dienstagabend im Museumskeller, Erfurt, mehr als gespannt sein. Und einwenig aufgeregt, so wie Stumpen selbst: “Amz, so ab Achte sitz ick janz doll uffjerecht und voller R Furtung im Museumskeller, auf dass ick im kleenen Jemäuer für jewiß mindestens 3 Stunden damit beschäfticht sein werd, allen Altersgruppen Freude ins Jesicht zu zaubern ” Vorsichtshalber habe ich meine Einkaufsliste vom vergangenen Wochenende mitgenommen. Vielleicht liest er die ja auch.
Kurz vor 21 Uhr ist es im Museumskeller brechend voll. Wer nicht früh genug gekommen ist, hat das Glück, die Lesung stehend zu erleben. Ich habe mir den Fotografenkoffer geschnappt und mache es mir vor dem Mischpult bequem. Die Veranstaltung heisst “Stumpen liest immer alles und sing vielleicht” und das heisst Stumpen liest immer alles und singt vielleicht. Das ganze soll in etwa 111 Minuten dauern, ohne Pause. Die Anwesenden blicken zur Bühne. Hintern ihnen baut sich der Künstler auf und wirft sich eingeflauscht in ein rotes Etwas durch die Stuhlreihen. Man kennt es ja von Knorkator-Konzerten, dass gerne und viel mit Toastbrot geschmissen wurde. Der Solokuenstler Stumpen legt noch eine Schippe drauf – belegte Brötchen und Pralinen. Möchte jemand einen Martini?
Wo waren wir? Stumpen. Museumskeller. Eine Lesung an einem verregneten Dienstagabend. Zurück zum Konzept: Es ist ja nicht alles gut, was zu Lesen ist. Es wäre aber besser, wenn es schlechter ist als gut, damit es unterhaltsam ist. Mit guter Qualität wird angefangen und bei genügendem Martinikonsum kann es nur besser werden, so Stumpen. Wie man von den Knorkatorlesungen schon kennen möge. Als er dann anfaengt DJ Ötzi zu rezitieren, weiß man wo der Abend hingehen wird. Sind die Hühner platt wie’n Teller, war der Trekker wieder schneller. Ungeahnte literarische Juwelen erschließen sich dem geneigten Zuhörer, wenn er vorliest und sich selbst die Pointen zerlacht. Stumpen hat ein Talent, die Leute zum Lachen zu bringen, selbst wenn er sein Publikum zum Streicheln zwingt. Nimm die Säule da hinten! Streicheln! Mach das Licht aus, es muss schön puffig sein. Die Trilogie Ottos Mops, Annas Gans und Gudruns Luchs wird gebannt verfolgt. Ich weiss nicht, ob man über Stumpens Lesungen so viel erzählen sollte. Ob man nicht den Spaß wegnimmt. Oder ob die Besucher nicht längst wissen, was sie erwartet. Ich weiß es nicht. Nur so viel: Lachen ist gesund. An diesem Abend wurde das Immunsystem eines jeden enorm gestärkt.
Soll ich singen? Ja. Soll ich essen? Das nächste Gedicht von Alf Ator klingt nur gut, wenn der Mund richtig voll ist. Man darf nur nicht schlucken. Da sitzt er nun, der Stumpen, mit aufgeblähten Wangen auf der Bühne und würgt ein Gedicht hervor. Dieser Abend führt durch die Abgründe des Lesbaren. Dass er kaum bis nichts Eigenes vorträgt stört nicht, die Art seiner Interpretationen und die Wonne mit der die Lacher im Publikum erkitzelt, sind Entschädigung genug. Zwischendurch singt er, sehr eigen, sehr verlacht. Sehr schön. Ich will hier gar nicht sagen, welche Klassiker neu aufgelegt worden sind oder für welches primäre Geschlechtsmerkmal der Frau möglichst viele Worte gefunden werden sollten. Nur soviel, die Erfurter fanden ein halbes Wort mehr als die Würzburger.
Stumpen kommt wieder am 01. Dezember 2009 und am 02. Februar 2010. Dann sitzt vielleicht der kleine, dicke Kuchen neben ihm auf der Bühne und musiziert mit ihm. Meine Einkaufsliste habe ich dann doch nicht benötigt, bei all der Zettel- und Bücherwirtschaft auf der Bühne kam es auf den Schnipsel nicht mehr an. Stumpen liest wirklich alles.