Open Flair Festival 2018
18.08.2018 [al] Wenn das zweite Augustwochenende vor der Tür steht, ist das Open Flair ganz nah. Und so pilgerten auch dieses Jahr wieder zehntausende Musikfans nach Eschwege. Bereits am Dienstag standen die ersten Zelte, Pavillons und Wohnmobile auf dem Campingplatz. Das Festival selbst startete am Mittwoch mit “Passepartout” und einem Mix aus deutschem und französischem Hip Hop auf der Seebühne. Konfetti durfte nicht fehlen und die Fans tanzten sich warm. Wie auch die letzten Jahre schon, öffnete das Hauptgelände erst am Freitag seine Pforten. Und so konzentrierte sich alles die ersten 2 Tage auf diese eine Bühne.
Die zweite Band des Tages nannte sich selbst in der Ankündigung “Ein Klumpen Hack – die Lumpenpack-Coverband”. Eine Lumpenpack-Coverband? Nein, natürlich waren es Max Kennel und Jonas Meyer höchstpersönlich, die da auf der Bühne standen und das Publikum mit ihren nicht ganz ernstzunehmenden Texten zum Mitsingen und Feiern brachten. Der Aufforderung zu einem Circle Pit in Zeitlupe kamen die Fans nach und eine extra große Polonaise zog über das Gelände. Konfetti und Luftschlangen natürlich wieder mit von der Partie.
Härtere Töne schlugen “Desasterkids” aus Berlin an. Sie hatten ihr brandneues Album „Superhuman“ im Gepäck, welches erst Anfang August erschienen ist. Bereits die Veröffentlichung des ersten Albums im Jahr 2015 brachte ihnen Shows auf diversen Touren und Festivals ein, unter anderem mit Papa Roach, Soulfly, Eskimo Callboy oder Any Given Day. Im Anschluss spielten „The Menzingers“. Die Punk-Rock-Band aus Phliadelphia gastierte bereits vor 3 Jahren auf dem Open Flair. Brett Gurewitz, Gitarrist von Bad Religion, sagte einmal über die Band: “Diese Jungs spielen die Art von Punkrock, mit der ich aufgewachsen bin.“ Ihre einstündige Performance war, obwohl von Soundproblemen gezeichnet, dennoch eine gute Show, die man sich gern angesehen hat. „Dritte Wahl“ fühlten sich auf der Bühne zu Hause. Kein Wunder, bespielten sie doch seit mittlerweile stolzen 30 Jahren die Bretter der Welt. Da ja sowieso alles Playback sei, wie sie selber mit einem zwinkernden Auge sagten, konnten sie sich ganz auf das Rumblödeln konzentrieren. Ein sehr unterhaltsamer Auftritt und eine gelungene Show.
Für den Abend hatten sich die Macher des Open Flair zwei verrückte, bunte Bands herausgepickt. Rockige Elektrobeats peitschten bei “Skindred” über das Gelände. Als Intro diente „Thunderstruck“ von AC/DC. Frontmann Benji Webbe brachte mit seinem Gesang und seinen starken Gesten das Publikum in Bewegung. Das Gelände der Seebühne war gut gefüllt. Den Abschluss des ersten Abends bildete “Gogol Bordello” und hier reicht eigentlich ein Zitat aus dem Pressetext, um die Eindrücke punktgenau zu beschreiben: „Das sind keine Shows, das sind fröhliche Exzesse, wenn diese Band die Bühnen brennen lässt.“ Mehr ist dem nicht hinzuzufügen. Das Feuerwerk am See rundete dann um 00:00Uhr den ersten Abend ab.
Der Donnerstag startete zu den Klängen von “Kopfecho”. Im Anschluss wurde die Bühne von “Mr. Hurley & die Pulveraffen” geentert. Piratenrock nennen sie ihre Musik. Gut eine Stunde spielten die Musiker aus Osnabrück sowohl eigene Stücke als auch traditionelle Seefahrersongs aus Irish Folk und Shantys. Ay. Und während die Piraten nach ihrem Finale mit einem Mix aus „Yellow Submarine“, „Final Countdown“ oder auch „Barbie Girl“ zurück nach Tortuga segelten, zog ein Unwetter über das Festivalgelände. Glücklicherweise entstanden keine größeren Schäden und so konnte das Programm nach kurzer Unterbrechung mit “Gurr” fortgesetzt werden. Die beiden Powerfrauen aus Berlin feierten vor 2 Jahren mit ihrem Debütalbum „In my head“ bereits große Erfolge. Ein neues Album ist in Arbeit. Sängerin Andreya Casablanca genoss zum Ende des Konzertes hin ein Bad in der Menge und ließ sich vom Publikum beim Crowdsurfen auf Händen tragen. Der kleine Fauxpas, Eschwege als Dorf zu bezeichnen, wurde ihr nicht übel genommen.
„Blackout Problems“-Bassist Marcus Schwarzbach drehte vor der Show eine Runde durch den Graben und begrüßte das Publikum. Wenn man die Band heute sieht und mit ihren Anfängen vergleicht, so fällt als erstes der vierte Mann auf der Bühne auf. Seit etwa 2 Jahren unterstützt Moritz Hammrich an der Gitarre. Und auch der Sound, auf dem in diesem Jahr erschienenen zweiten Album „KAOS“, hat sich weiterentwickelt. „Massendefekt“ spielten im Anschluss und machten, wie viele weitere Bands, auf „Viva con aqua“ aufmerksam. Und so schwebte ein großer aufblasbarer Schwan, in den die Pfandbecher geworfen werden konnten, über dem Publikum entlang.
Nach seiner großartigen Show im vergangenen Jahr kehrte Alligatoah mit dem kompletten „Trailerpark“ nach Eschwege zurück. Nach der berühmten wie berüchtigten Albumtrilogie „Crackstreet Boys“ sowie verschiedenen Soloveröffentlichungen haben Timi Hendrix, Basti, Sudden und Alligatoah im Oktober des vergangenen Jahres die neue gemeinsamen Platte „TP4L“ veröffentlicht und sind damit direkt auf Platz 1 der deutschen Charts gelandet. Und so war es nicht verwunderlich, dass sie das Gelände an der Seebühne fast zum Überquellen brachten.
Am Freitag öffnete das Hauptgelände des Open Flair am Werdchen und so hatte man nun die Qual der Wahl zwischen Radio BOB-, Frei- und der bereits seit Mittwoch bespielten Seebühne. Hinzu kamen natürlich noch die vielen kleineren Programmpunkte und Bühnen, beispielsweise im E-Werk oder Kleinkunstzelt, die man wieder gar nicht alle geschafft hat. Erste Band des Tages auf der Freibühne waren „Noriega Mind“. Die Radio BOB-Bühne wurde von „Schrottgrenze“ und ihrem aktuellen Album „Glitzer auf Beton“ beglitzert. „Lotte“, die junge Künstlerin aus Ravensburg, überzeugte mit ihrem Singer-Songwriter-Pop. Ihr Debütalbum „Querfeldein“ erschien vor etwas einem Jahr. Die anschließende Clubtour war in vielen Städten ausverkauft. Und so sammelten sich auch etliche Fans in den vorderen Reihen der Freibühne.
Die Show von „Milliarden“’ fing recht gemächlich an, aber nur, um dann in die Vollen zu gehen. Bei ihrem Lied „Oh Chérie“ holten sie kurzerhand einige Männer und Frauen der Heavy Secure Rocking Crew auf die Bühne. Wer das Open Flair kennt, weiß auch von den verrückten Aktionen im Graben: so wurden vor dem Auftritt von Milliarden hellblaue Jogginganzüge angezogen und blonde Perücken aufgesetzt. Diesen Moment auf der Bühne hatten sich die Securities auch verdient, sorgten sie doch während des ganzen Festivals für Sicherheit und verloren dabei aber dennoch den Spaß nicht aus den Augen. Die Kanadier von „Silverstein“ spielten eine mitreißende Show. Ihr aktuelles Album „Dead Reflection“ ist letztes Jahr erschienen und wurde vom Metal Hammer, wie folgt, beschrieben: „Auf ihrem achten, überraschend düsteren Album verbinden sich zuckersüße Melodien mit verzweifelt-aggressiven Shouts und Riffs, die sich ordentlich was beim Metalcore abgeschaut haben.“ Und genau diese Abwechslung, dieses Wechselspiel zwischen den musikalischen Welten, sorgte für ein großartiges Konzert.
Auf der großen Bühne wurde es etwas ruhiger mit „Henning Wehland“. Er war schon mehrere Male auf dem Open Flair, zuletzt mit den H-Blockx. Dieses Jahr gastierte er mit seinem Solo-Programm zum Album „der Letzte an der Bar“. Bereits letztes Jahr sollte die „Antilopen Gang“ auf dem Open Flair auftreten, allerdings brach sich Panik Panzer einen Tag vor dem Auftritt den Arm und so holten sie das ausgefallene Konzert nach. „Pascow“, die aktuell gar nicht so viel touren und sich ihre Konzerte und Festivals gut auswählen, hatten mit dem Open Flair wohl die richtige Wahl getroffen. Zumindest konnte das Publikum eine dynamische Show sehen und das hat Spaß gemacht beim Zuhören und Zusehen.
Bei „In Flames“ herrschte ebenfalls eine extrem gute Stimmung. Sie sind eine mitreißende Liveband und das bewiesen sie an diesem Freitag auch auf der großen Bühne. Die vier Schweden, die sich bereits 1990 zusammengefunden haben, um gemeinsam Musik zu machen, wirkten keinesfalls müde und spielten, wie bereits 2013 ein druckvolles Konzert. Bevor „Northlane“ im Anschluss die Freibühne betraten, spielte 21:30 der Eschweger Fanfarenzug. Ein nicht unbedeutender musikalischer Kontrast. „Northlane“ spielten eine gewohnt energiegeladene Show und Frontmann Marcus Bridge war ständig in Bewegung.
Absolutes Highlight des Tages war sicher der Auftritt von „Kraftklub“. Anfangs standen sie noch allein auf der Bühne, doch im Laufe der Show kamen rund 40 Tänzerinnen und Tänzer dazu und unterstützten die Chemnitzer Band. Mit einem der ersten Songs „Karl-Marx-Stadt“ tobte bereits die Menge. Auf dem Werdchen war kein Platz mehr und so wurden die anderthalb Stunden zu einer riesigen Party. Als die Band nach etwa 45-60 Minuten kurz von der Bühne verschwand, ertönten über die Lautsprecher Geräusche eines startenden Trabis, dem Kultauto der ehemaligen DDR. Und so kamen Kraftklub auf einer Mini-Bühne durch das Publikum gefahren. Sie feierten und ließen sich feiern, bevor sie mit einem Crowdsurfing-Wettstreit wieder zur großen Bühne zurückkehrten.
Auch am Samstag ging es wieder heiß her. Man hatte das Gefühl, dass die Freibühne beziehungsweise der Platz davor an diesem Nachmittag vorrangig vom jüngeren Publikum besetzt war. Bereits bei „Naked Superhero“ aus München vereinte sich melodischer Punkrock mit tanzfreudigen Fans. Fast schon obligatorisch war der Auftritt der „Monsters of Liedermaching“, welche dieses Jahr auf der großen Radio BOB!-Bühne spielten. Nach fünfzehnjäriger Bandgeschichte haben sie es geschafft, ein Album aufzunehmen. Das Publikum zeigte sich sehr textsicher.
„Drangsal“, mit bürgerlichem Namen Max Gruber, spielt mit dem Sound der 80er, mischt eine Brise Intensität und Explosivität hinzu und kreiert so seine eigene Musik. Gemeinsam mit seiner Live-Band lieferte er eine Show ab bei der es Spaß machte zuzusehen. Die aus Florida stammenden „Hot Water Music“ brachten feinsten Post-Hardcore nach Eschwege. Die Band, die seit 1994 existiert, zwischenzeitlich Pausen einlegte, ist nun mit neuer Platte „Light It Up“ sehr erfolgreich unterwegs. Sänger und Gitarrist Chuck Ragan gastierte bereits 2013 als Solo-Künstler auf dem Open Flair. „Faber“ spielte als nächstes auf der Freibühne. Seine Kompositionen mit Posaunen, Gitarren, Klavier und vor allem seiner Stimme sind absolut hörens- und sehenswert. Der junge Schweizer ist im Herbst auf Deutschlandtour. Wer seinen Auftritt auf dem Open Flair gesehen hat, kann sicher nachvollziehen, warum viele Konzerte bereits ausverkauft sind. Seit 10 Jahren gibt es „DeWolff“, die damals über einen Talentwettbewerb einen Plattenvertrag gewonnen hatten. Gerade ist ihr siebtes Studioalbum erschienen. Und wenn man sie auf der Bühne stehen sieht, denkt man, man sieht eine Psychedelic- und Blues-Rock-Kombo, die aus Mitt-Vierzigern besteht. Aber nein, die Herren sind allesamt in ihren Zwanzigern. Der Sound ist ausgereift, die Show ist gut. Da passte einfach alles zusammen.
Headliner des Abends war „Marteria“, bei dessen Auftritt auch „Casper“ zu späterer Stunde vorbeischaute. Die beiden Künstler standen bereits am Nachmittag für ihre Fans für Autogramme und Fotos am Eingangsbereich des Geländes zur Verfügung. Und wenn Marteria auf der Bühne steht, dann sieht man natürlich den Rapper, aber man sieht auch den Typen von nebenan, so sympathisch wie er wirkt. Die Seebühne, die sonntags nicht mehr geöffnet hat, feierte einen fulminanten Abschied vom diesjährigen Festival mit „Feine Sahne Fischfilet“. Da wurden Bengalos gezündet, getanzt und man könnte auch von einem Abriss reden, so ausgelassen war die Stimmung. Ehrengast auf der Bühne war Katharina König-Preuss, welche Mitglied der NSU-Untersuchungsausschüsse des Thüringer Landtags ist und sich in der Aufklärungsarbeit zu rechtsextremen Terrorgruppen engagiert. Ihr ist das Lied „Angst frisst Seele auf“ gewidmet, der Titel vermutlich angelehnt an den Film „Angst essen Seele auf“. Zur Zugabe kamen dann auch noch Marteria und Casper auf die Bühne.
So schön die letzten vier Tage in Eschwege waren, so schnell stand der Sonntag vor der Tür. Bei bestem Wetter starteten „Kmpfsprt“ auf der Radio BOB!-Bühne und brachten viel Spaß und Spiellaune mit. „Graveyard“ gaben ihre Open Flair-Premiere und überzeugten mit ihrer Musik, einer gelungenen Mischung aus Blues, Rock und auch psychedelischen Elementen. Denke ich an Musik aus Australien, so denke ich eher an Metalcore-Bands wie Parkway Drive oder The Amity Affliction, welche auch bereits beide auf dem Open Flair zu Gast waren. Hip Hop kommt mir da weniger in den Sinn. Aber genau den brachten die „Hilltop Hoods“ aus Adelaide erstmals nach Eschwege. Seit über 20 Jahren machen sie Musik, ihr 2009 erschienenes Album „State Of The Art“ ist wohl das meistverkaufte Hip Hop-Album Australiens aller Zeiten. Und so wussten Sie auch am Sonntag zu überzeugen, auch wenn der Tag eher unter der Flagge von Gitarren und Rock stand. Durch das Bühnen-MakeUp des Gitarristen Ian Miles wirkte der Auftritt von „Creeper“ etwas theatralisch. Die Musik der Engländer ist extrem wandlungsfähig und ihre Show war geprägt von viel Action.
„Bad Religion“’s Auftritt stand zum Großteil unter der Flagge des vor 30 Jahren veröffentlichten Albums „Suffer“. Das Cover zierte das Backdrop auf der Bühne. Die A-Seite der Platte wurde komplett gespielt, von der B-Seite eine Auswahl. Für ein Festival hätte ich mir eine etwas mehr über die Jahre gemixte Setlist gewünscht, da allerdings Bad Religion-Songs meist recht kurz sind, war in der einen Stunde Spielzeit auch noch genug Luft für weiteres. Es folgten Klassiker wie „Punk Rock Song“ oder auch „American Jesus“ und „Suffer“.
„I hate Los Angeles“ war eine der ersten Textzeilen des Liedes „Drive North“ der aus Kalifornien stammenden Band „SWMRS“, die auf dem Open Flair erklang. Klingt jung, rotzig, rebellisch? Ja, und genau so war die Show, die die Musiker ablieferten. Da waren Energie, Wut und Kraft auf der Bühne. Offiziell ist ihr erstes Album 2016 erschienen, allerdings machten sie davor bereits Musik unter anderem Namen („Emily’s Army“).
Der Auftritt der „Editors“ war in schönstes Bühnenlicht getaucht, Sänger Tom Smith tobte erst ohne Gitarre über die Bühne, von links nach rechts und wieder zurück. Dann schnallte er sich die Gitarre um und die Band aus England spielte ein großartiges Konzert. Ganz klar: ihre große Stärke liegt in den Live-Shows. Sie wussten sofort, wie sie das Publikum mitreißen können. Hoffentlich sieht man die Engländer in bald wieder in Eschwege, nachdem dieser erste Auftritt hier die Fans so begeisterte. Finaler Act auf dem diesjährigen Open Flair waren die Beatsteaks und ein besseres Abschlusskonzert hätte ich man sich nicht erdenken können. Die Stimmung war von Anfang an grandios, Arnim suchte oft die Nähe der Fans und war fast mehr an den Gittern zur ersten Reihe als auf der Bühne. „Frida und die Bomben“, gesungen von Bernd und „Hey du“, gesungen von Thomas, durften natürlich auch nicht im Programm fehlen. Die Zugabe startete mit „Summer“. Perfekt. Die Berliner haben dem Festival für dieses Jahr einen mehr als würdigen Abschied beschert und wieder einmal bewiesen, dass sie eine grandiose Live-Band sind.
Nächstes Jahr geht dieses wunderbare Festival in seine 35. Runde und ich hoffe, ich kann dann auch wieder Teil des tollen Fotografen-Teams sein. Man darf gespannt sein, welche Bands die Veranstalter für das Jubiläum nach Eschwege holen. Der Verkauf der Early Bird-Tickets läuft auf Hochtouren, 10.000 Tickets sind bereits verkauft. Und nach all den Jahren, die ich nun schon sowohl privat als auch als Fotografin auf das Open Flair komme, muss ich wohl zugeben: ja, ich bin flairliebt.