Tanzbare Provokation
Agonoize im Centrum
02.10.2009 [db] Bevor man am Freitagabend das Centrum betreten konnte, las man am Einlass einen Vermerk: AGONOIZE weisen darauf hin, dass “intensives Zuhören deinen Glauben ändern kann” und “unser Ejakulat nicht zur Fortpflanzung geeignet ist”. Am Releasetag ihres neuen Albums HEXAKOSIOIHEXEKONTAHEXA machten die drei schock freudigen Berliner auf ihrer Tour Halt im Erfurter Centrum. Lärm und Geschrei. Tanzbare Beats. Ernste Inhalte. Provokation. Show. Alles zu einem hübschen Paket geschnürt. Willkommen in der Splatterdisko! Für verschmutzte Kleidung wurde auch keine Haftung übernommen. Doch das sollte später kommen.
Den Weg bereiteten Centhron. Kein leiser Einstieg, gleich volles Tempo und die Boxen am Bersten. EBM vom Feinsten. Das Trio Centhron ist supporterprobt. Sie heizten die Mengen bereits für Acts wie Suicide Commando, SITD, KiEw, Reaper, Psyclon Nine, Grendel, Soman und eben Agonoize an. Alles in allem ein “braver” Beginn für diese Nacht, die provokanten Momente überließen sie dem Hauptact. Zunächst war tanzen, tanzen, tanzen angesagt. Äußerst ratsam bei den abgekühlten Temperaturen draußen. Im Inneren wurde es umso heißer. Die politische Gesinnung der Band interessierte da niemanden – Centhron werden albumabhängig gerne mal in die linke oder rechte Schublade gesteckt. Sie selbst halten sich mit Statements diesbezüglich zurück, was Kritikern gerne und viel neues Futter gibt. Vielleicht, aber nur vielleicht geht es ihnen um die Provokation? Ohne das fällt eine Band in dem Genre schnell durchs Raster. Und man muss auffallen, um zu gefallen. Man muss auffallen, um spielen zu können. Und das können Centhron. Keine Frage. Schnelle, krachende Beats, überstrapazierte Stimmbänder und zuckende Glieder. Die EBM-Mischung stimmte, wie man an den Bewegungen und den Schreien im Publikum sehen konnte.
Wo ist dein Gott? Wenn man ein Agonoize-Konzert besucht, erlebt man nicht drei EBMer auf der Bühne, die ihr Set runter spielen. So einfach kommt man nicht davon. Agonoize haben sich binnen kürzester Zeit einen Namen gemacht: durch Texte, die spalten und durch explosive Shows, die halten was sie versprechen. Das macht den Ruf und den Bekanntheitsgrad der Band zum Großteil aus. Sie wissen, wie man den Fans einheizen kann. Mike und Oliver, für die Komposition und Programmierung zuständig, bezogen in schwarz den hinteren Teil der Bühne. Den meisten Platz beanspruchte Frontmann Chris L. ganz in Weiß für sich. Den benötigte er auch. Über die gesamte Länge marschierte er während des Konzertes. Es gab kaum einen Moment des Innehaltens. Mit seinen Bewegungen war er immer im Beat und gab der Menge, die sich im Club versammelte hatte, den Rhythmus vor. Sein Kittel sollte nicht lange so strahlend Weiß bleiben. Das Messer an der Kehle durchtrennte die Kunstblutader und ließ das nasse Rot in Strömen fließen. Darauf spekuliert man, das bekommt man.
Agonoize brachten den Boden im Centrum zum Beben. Der ganze Körper vibrierte unablässig. Eine einzige Kampfansage an Beine und Arme. Sie schreien ihre Songs, gekleidet in satten Clubsound heraus. You gotta fight for your right to party. Die Beastie Boys werden auf EBM getrimmt und die Meute vor der Bühne springt. Unverblümt. Derb. Laut. Schnell. Melodiös. Als auf sympathische Weise komplett durchgeknallt werden sie gerne mal beschrieben. Stimmt. Charismatisch. Stimmt. Sie nehmen sich nicht zu ernst. Stimmt. Sie können aber auch anders, wie im Song “Puppenmädchen”, wenn sie ihre Wut auf Kinderschänder und die desolate Strafverfolgung hinaus speien. Sie sind nicht zimperlich. Fordern gerne zum Kopulieren auf. Werwölfe sind nicht ihr Ding, das überlassen sie anderen. Den Staatsfeinden sind Klischees egal. Sie können das Monster, das ihnen innewohnt anders befreien. Chris L. ging komplett in der Show auf, Kunstblutfontänen und immer wieder der starre Blick gen Himmel, unterbrochen von besessen wirkendem Zucken. Agonoize sind nicht nur etwas für Ohren und Beine, sondern auch für die Augen. Man kann den Blick nicht abwenden, die Gefahr etwas zu verpassen schwebt über dem Ganzen. Das Messer war das liebste Utensil an diesem Abend. Sänger Chris L. schlug sich den Griff vor die Stirn, ließ seinen Bauch ausbluten. Die erste Reihe dürfte am Ende ordentlich geduscht gewesen sein.
Und spätestens beim letzten Song vor der ersten Zugabe wusste man, warum am Einlass explizit auf die Nichtverwendbarkeit von Agonoize-Ejakulat hingewiesen wurde. Eine Ladung Sperma flog durch den Saal und die Hand wanderte wieder aus der Hose.
Der Auftritt von Agonoize am Freitag im Centrum ist einer von einer langen Reihe an Konzerten in und um Erfurt, die die schwarze Szene erfreuen dürfte. ASP, Saltatio Mortis, Letzte Instanz, Oswald Henke und Mesh sind nur einige prominente Namen, die sich in diesem Herbst in Thüringen tummeln. Die Nächte werden schwärzer. Die Clubs werden boomen.